Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band V. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (5)

224 Die Verwaltung. Allgemeines. 8 70 
  
hörden in einem gewissen Grade bis in die Gegenwart hinein noch geblieben. 
Dies gilt in ganz besonderem Maße für die Organe der Verwaltung; dieselben 
sind nicht nur berufen zur materiellen Verwaltungstätigkeit, sondern auch zur 
Rechtssetzung und Rechtsfindung. 
Unter welchen Voraussetzungen die Verwaltung zur Aufstellung von Rechts- 
sätzen befugt ist, wurde früher bereits ausgeführt. Bezweckt die zu erlassende 
Rechtsvorschrift die Regelung eines individuellen, bisher von einer Norm noch 
nicht betroffenen Falles, so finden auf das bezügliche Vorgehen der Verwaltung 
die Grundsätze Anwendung, die für den Erlaß von Verfügungen aufgestellt sind. 
Neben den Verfügungen, die in Befehle, Verbote und Erlaubniser- 
teilungen sowie in rechtsbegründende, rechtsverändernde und rechtsaufhebende 
Handlungen zerfallen, kennt das badische Recht als eine öffentlich-rechtliche Ge- 
schäftssorm, und zwar nicht nur im völkerrechtlichen Verkehr, auch die Ver- 
einbarung oder den Vertrag, so beim Ausgleich von öffentlichrechtlichen 
Verpflichtungen zwischen öffentlichrechtlichen Verbänden, besonders auf dem 
Gebiete des Unterrichtes, des Armen= und des Straßenwesens und bei der 
Regelung der Benutzung öffentlicher Anstalten: die von den Verwaltungsbehörden 
ausgehenden Handlungen können endlich aber auch darin bestehen, daß gegen 
einen Anderen unmittelbarer (sofortiger) Zwang zur Anwendung gebracht wird. 
Erhält eine Verfügung einen vom Betroffenen nicht gewollten Eingriff in 
die Freiheit oder das Vermögen, so bedarf sie, ebenso wie die Verordnung, im 
Zweifelsfalle einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung. Nähere Ausbildung 
hat das Verfügungsrecht der Behörden, zumal auch deren Befugnis zur Be- 
gründung individueller Verpflichtungen, ebenso wie das Recht zur unmittelbaren 
Zwangsanwendung für den Bereich der Polizeiverwaltung erfahren. 
Die Schranken, die das formelle Gesetz der Tätigkeit der Verwaltung zieht, 
sind in Baden nur insofern durchbrochen, als der Art. 37 des Etat-Gesetzes dem 
Landesherrn und den von ihm bezeichneten Behörden allgemein die Ermäch- 
tigung gibt, von der Geltendmachung gesetzlicher Verpflichtungen finanzieller Art 
gegenüber einzelnen Untertanen im Wege der Dispensation ganz oder zum Teil 
Umgang zu nehmen 1). Dagegen besteht ein allgemeiner Rechtssatz des In- 
haltes, daß diejenigen Verwaltungsbehörden, die eine Rechtsvorschrift erlassen 
haben, befugt seien, — auch wenn ihnen eine besondere dahin gehende gesetz- 
liche Ermächtigung nicht erteilt worden, — unter Zustimmung der für den Er- 
laß jener Rechtsverordnung zuständigen Organe von der Beobachtung der Vor- 
schrift Nachsicht zu gewähren, mit nichten 2). 
2. Was das Verhältnis der Verwaltung zur Justiz angeht, 
so ist der durch § 17 Abs. 1 GVG. den Gerichten gewährte Vorzug durch die 
erfolgte Einrichtung eines Kompetenzgerichtshofes zugunsten der Verwaltung 
1) Das Gesetz spricht hier von einem Nachlaß im „Gnadenwege“. Es gewährt dem Landes- 
herrn zugleich auch das Recht zur „gnadenweisen“ Erhöhung einer Ausgabe und zur Uebertragung 
seiner Befugnis auf andere Staatsstellen. Wurde eine zu erlassende Ersatzverbindlichkeit von 
der Oberrechnungskammer festgestellt, so ist immer eine Entschließung des Landesherrn erfor- 
derlich. Abs. 2 des Art. 37. 
2) A. A. das Min. d. J. im Erlaß v. 26. Sept. 1904 (Zeitschr. 1904 S. 243) ebenso § 4 
der Ld BauO. v. 1. Sept. 1907. 
 
	        
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