§ 70 Die Verwaltung. Einleitung. 225
wieder aufgehoben. Andererseits hat die Verf.-Urkunde das Recht der Verwaltung
anerkannt, im öffentlichen Interesse der Strafjustiz unter Umständen in den Arm
zu fallen. „Der Großherzog kann erkannte Strafen mildern oder ganz nach-
lassen"“ Verf.-Urk. & 15 Abs. 3. Durch St Min. Entschl. v. 30. Dezember 1871
ist das Recht der Begnadigung bei Geldstrafen und bei Freiheitsstrafen von
weniger als sechs Wochen dem Justizministerium eingeräumt 1). Die gleiche
Befugnis besitzt bezüglich der von den Bürgermeisterämtern und Bezirksämtern
ausgesprochenen Polizeistrafen auf Grund einer Stin. Entschl. v. 14. Januar
1839 das Ministerium des Innern 2). Die Verf.-Urkunde anerkennt das Be-
gnadigungsrecht nur gegenüber „erkannten“ Strafen; von einem Abolitionsrecht
des Staatsoberhauptes ist nirgends die Rede. Trotzdem hat man Jahrzehnte
hindurch gestützt auf den #5 der Verf.-Urk., für den Großherzog auch das Aboli-
tionsrecht in Anspruch genommen. Erst vom Jahre 1865 an, nachdem durch die
kurz vorhergegangene Gesetzgebung der Gedanke des Rechtsstaates eine mächtige
Förderung erfahren, bekannte man sich auch in Regierungskreisen zu der Anschauung,
daß die oben erwähnte Bestimmung in §5 15 der Verf.-Urk. den ganzen Umfang des
Begnadigungsrechtes umfasse, das dem Landesherrn beim Erlaß der Verfassung
habe vorbehalten werden wollen 3).
Infolge der Begründung des Deutschen Reiches ist an dem Begnadigungs-
rechte der Landesherren an und für sich nichts geändert worden. Beim Abschluß
der Militärkonvention mit Preußen, welche die Militärgerichtsbarkeit diesem Staate
übertrug, wurde dem Großherzog von Baden die „tunlichste Berücksichtigung“
seiner Wünsche bezüglich der badischen Untertanen ausdrücklich zugesichert, soweit
es sich um militärische Vergehen handelt, und in Fällen der Verurteilung wegen
nicht militärischer Vergehen das Recht der Begnadigung in vollem Umfange über-
lassen ). Durch die Einführung der Reichsjustizgesetze des Jahres 1877 wurde das
landesherrliche Begnadigungsrecht, da dessen Anwendung sich nicht als ein Akt
der Rechtspflege, sondern als eine Verwaltungsmaßregel darstellt, keineswegs auf-
gehoben. Jedoch kann der Großherzog von seinem Begnadigungsrechte immer nur
dann Gebrauch machen, wenn es sich um eine Verurteilung handelt, die in erster
Instanz von einem badischen Gerichte ausgegangen, wie er denn auch die in
einem andern zuständigen Bundesstaate ausgesprochene Begnadigung dann gelten
lassen muß, wenn sie einem Badener zu Teil wurde 5).
3. Die Rechtskontrolle der Verwaltung wird zum Teil durch die
Organe der Verwaltung selber ausgeübt, so im Verwaltungs= und Beschwerdever-
1) G.u. VOl. 1872, S. 10, vgl. außerdem die Ldh. VO. vom 30. Dez. 1890 (G.u. VOl.
S. 33), die dem Justizminist. das Recht verleiht, bis zur Dauer von sechs Monaten Strafaufschub
und Strafunterbrechungen zu gewähren und bei Gefängnisstrafen von nicht über einem Jahr nach
Verbüßung von drei Vierteilen der Strafe Strafurlaub von unbestimmter Dauer zu erteilen.
Siehe ferner: RStrGB. +25.
2) Ueber die Befugnisse des Finanz. Min. s. oben S. 99; vgl. ferner Vollz. VO. zum Zwangs-
erziehungsgesetz § 13 (G.u. BOBl. 1906 S. 43 ff.) und St MErl. v. 24. I. 1906 (Ermächtigung der
Zolldirektion) St A. S. 42.
3) Bgl. Heimberger, Das landh. Abolitionsrecht 1901, S. 66 und Jellinek, Verf.=
Aenderung usw. S. 14 f. Auch das Verwaltungsgebühren Ges. vom 4. Juni 1888 erwähnt unter den
taxpflichtigen Akten nur den Nachlaß erkannter Strafen. 5 25 Ziff. 7 und 8.
4) Mil. Konv. Art. 14 Abs. 3 und Schluß-Protokoll dazu Ziff. 8.
5) Bgl. Laband, BPd. I dieses Werkes S. 327.
Walz, Baden. 15