238 Die Verwaltung. Allgemeines. § 72
erfolgen.
Das Recht zur Berufung besitzt „aus Gründen des öffentlichen Interesses“
auch der Vorsitzende des Bezirksrates.
Will er im Einzelfall von dieser Befugnis Gebrauch machen, so kann er die Ver-
kündung der erstinstanzlichen Entscheidung einstweilen, jedoch längstens nur 8 Tage, aus-
setzen; er hat dann zugleich mit der Eröffnung die Mitteilung erfolgen zu lassen,
daß im öffentlichen Interesse Berufung eingelegt sei.
Ist die Berufung an sich unstatthaft oder nicht in den gesetzlichen Formen
und Fristen eingelegt, so ist sie von Amts wegen, ohne daß eine mündliche Ver-
handlung nötig fiele, als unzulässig zu verwerfen.
Wird das Rechtsmittel als zulässig angenommen, so können in der Verhandlung
die Parteien neue Angriffs= und Verteidigungsmittel, insbesondere neue Tatsachen
und Beweismittel vorbringen, eine Aenderung der Klage ist jedoch ausge-
schlossen.
Auf Ausbleiben einer oder beider Parteien kann, auch wenn kein dahin gehen-
der Parteiantrag vorliegt, sofort ein Urteil in der Sache selbst ergehen, wenn
der Ministerialbevollmächtigte eine solche Entscheidung auf Grund des Tatbestandes
des bezirksrätlichen Urteils verlangt, und die Sache zur Entscheidung reif ist 7).
Die Beschwerde soll wie im Zivilprozeß dazu dienen, in denjenigen
Fällen ein Rechtsmittel zu bieten, in denen die Einleitung oder Fortsetzung des
Verfahrens versagt oder aufgehalten wird, in denen nur noch die Ausführung
eines Endurteils in Frage steht, oder Entscheidungen angefochten werden, die andere
Personen betreffen als die Parteien. Auch bei der Beschwerde des Verwaltungs-
prozesses wird zwischen der einfachen und sofortigen Beschwerde unterschieden;
ebensowenig besteht eine Verpflichtung für den Verw. G. Hof, über eine Beschwerde
mündliche Verhandlung anzuordnen 2).
Als außerordentliche Rechtsmittel sind zugelassen die ganz dem
Zivilprozeß nachgebildete Wiederaufnahme des Ver fahrens, die
gegen rechtskräftige Endurteile der Verwaltungsgerichte beider Arten beim Ver-
waltungsgerichtshof unter Anwendung der §§ 578—583, 586, 587, 589 3PO.
im Wege der Klage geltend zu machen ist, und
die Nichtigkeitsbeschwerdewegen Unständigkeit oder Gewaltsüber-=
schreitung, welche sich gegen die rechtskräftigen Erkenntnisse des Verw. G. Hofs wendet
und dem Zweck dient, zum Schutze der Verwaltung gegen Uebergriffe der Ver-
waltungsrechtspflege den Kompetenzkonflikt zu erheben. Ihre Geltendmachung
steht allein dem Vertreter der angeblich beeinträchtigten Verwaltung, dem Ver-
treter des Staatsinteresses zu 3).
Für den Gebührenbezug der Rechtsanwälte gilt die VO. vom 8. Oktober
18844). Die Bemessung der Gerichtskosten im Verw. Streitverfahren richtet sich
nach dem Verw. Geb. Ges. vom 4. Juni 1888 (Fassung vom 30. November 1895).
1) § 39 Abs. 1 (neue Fassung), wird dagegen die Sache auf Grund dieses Tatbestandes nicht
für bbruchei befunden, so hat der V. die Parteien hiervon in Kenntnis zu setzen. § 39 Abs. 2
es Ges.
2) 8 40 des Ges.
3) § 42 des Ges.
4) G.u. VO Bl. S. 409.