§ 79 Die direkten Steuern. Geschichtliche Entwickelung. 9259
Im achten Jahrzehnt schloß sich daran die Umwandlung der Kapitalsteuer in eine
Kapitalrenten steuer 1) und die Vereinigung der Klassen= und Gewerbesteuer zu
einer einheitlichen Erwerbssteuer 2), welche den Ertrag nicht bloß der gewerblichen
und landwirtschaftlichen Unternehmungen, sondern auch der Arbeit im Dienstverhältnis
oder in der freien Berufstätigkeit zum Gegenstand hatte, und die fundierten Erträge
doppelt besteuerte. Die gleichzeitig unternommenen Versuche der Einführung einer
allgemeinen Einkommensteuer blieben vorerst ohne Erfolg.
Allen bisher genannten Steuergattungen war charakteristisch, daß zur Bestimmung
der Steuerleistung nicht einfach der wirkliche Ertrag benützt, sondern daß zu dem ge-
nannten Zwecke eine besondere, rein fiktive Größe gebildet wurde, der sogen. Steuer-
anschlag, welcher bei den an ein Objekt anknüpfenden Steuern nicht den zu treffen-
den Ertrag sondern den in Geld veranschlagten Wert des den Ertrag liefernden Gutes
selbst darstellte 3). Weiter besaßen alle Steuern die Eigenschaft von beweglichen
Abgaben, deren Höhe im einzelnen zu bestimmen, die Aufgabe des Finanzgesetzes war,
das darüber zu befinden hatte, welcher Steuerfuß an die von den einzelnen Gesetzen
gesteckten Rahmen anzulegen war. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Grund-
und Häusersteuer einerseits und der Kapitalrenten= und Erwerbssteuer andererseits
bestand, abgesehen von dem für diese beiden letzten Steuergattungen erlaubten teil-
weisen Schuldenabzug, vor allem darin, daß die für die Bemessung der Grund= und
Häusersteuer maßgebenden Steueranschläge nach den Durchschnittspreisen einer ge-
wissen, zurückliegenden, Zeitperiode berechnet und unabänderlich festgelegt waren ),
während die Kataster für die Erhebung der Kapitalrenten= und Erwerbssteuer alljähr-
lich nach dem gegenwärtigen Stande der Verhältnisse neu ausgenommen wurden.
Eine nicht unbedeutende Verschiebung der Steuerlast, die vor allem den Grund-
besitzern zu statten kam, brachte die durch das Gesetz vom 20. Juni 1884 5) eingeführte,
im Jahre 1886 erstmals angewandte, allgemeine Einkommensteuer. Sie umfaßte das
gesamte reine Einkommen eines Steuerpflichtigen nach Abzug der Schulden und in
einem progressiven Verhältnis. Die bisherigen Ertragssteuern blieben daneben be-
stehen, erfuhren aber in ihrer Höhe eine erhebliche Minderung. Die Erwerbssteuer
wurde, da das persönliche Einkommen aus gewinnbringendem Verdienst allein durch
die neue Steuerart getroffen werden sollte, auf die Besteuerung der gewerblichen
Betriebskapitalien beschränkt und wurde demgemäß auch wieder Gewerbesteuer ge-
nannt).
Die neue als ergänzende Ausgleichssteuer gedachte Steuerart, deren Einführung
für die Besitzer von Vermögenswerten eine doppelte Besteuerung mit sich brachte,
und welche an Bedeutung für den Staatshaushalt immer mehr gewann, war ebenfalls
eine bewegliche. Die progressive Belastung kam in der Weise zur Durchführung, daß
man für die Einkommen von 30 000 Mark abwärts fallende „Einkommensanschläge“
schuf, auf die dann der Steuerfuß gleichmäßig anzulegen war.
Das Einkommensteuergesetz vom 20. Juni 1884 hat in der Folge durch zwei No-
vellen vom 26. Juni 1894 und vom 9. August 1900“) mannigfache Aenderungen er-
fahren, die vor allem darin bestanden, daß man die Strafbestimmungen verschärfte und
auf die, zugleich auf die Einkommen unter 20 000 Mark beschränkte, depressive Skala
für die Einkommen von mehr als 25 000 Mark eine durch prozentuale Erhöhung des
Steuerfußes geschaffene progressive Skala „aufpfropfte"’ (1894), sowie daß man die
Freigrenze von 500 Mark auf 900 Mark erhöhte und die Ausländer in stärkerem Maße
zur Besteuerung mit heranzog (1900) 5).
.1) Ges. v. 29. Juni 1874.
2. Ges. v. 25. August 1876.
3) Die Kapitalrente wurde zur Bestimmung des Steuerkapitals mit 20 vervielfacht; an der-
selben konnten unterpfändlich oder faustpfändlich versicherte Schulden abgezogen werden.
4) Maßgebend waren für die Steuerveranlagung der Grundstücke die Durchschnittspreise der
Jahre 1828—1847, für die Gebäude diejenigen der Jahre 1853—1862; später errichtete Gebäude
wurden unter Zugrundelegung dieser Preise in das Kataster eingereiht. Die Einschätzung der Wal-
dungen richtete sich nach dem Durchschnitt der Holzpreise der Jahre 1845—47 und 1850—52.
5) G.u. Wl. S. 321.
6) Vgl. die Bekanntmachung des Min. der Finanzen vom 9. März 1885, die das Gesetz vom
25. Aug. 1876 neu redigierte. G.u. VOl. S. 157 ff.
7) G.u. VOBl. 1894 S. 279 und 1900 S. 991.
8) Eine weitere unterm 6. Mai 1892 (G.u. VOl. S. 119) ergangene Novelle hatte die Steuer-
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