302 Die innere Verwaltung. Die Polizei.
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Verfügungen durchbrochen. Nach § 30 PStr GB. besitzen die Polizeibehörden das
Recht, „auch unabhängig von der strafgerichtlichen Verfolgung rechts= und ordnungs-
widrige Zustände innerhalb ihrer Zuständigkeit zu beseitigen und deren Entstehung
oder Fortsetzung zu verhindern“. Damit ist diesen Behörden die Befugnis verliehen,
wenn Verhältnisse der geschilderten Art sich ergeben, im Einzelfall neue rechtliche
Verbindlichkeiten der Untertanen gegenüber der Staatsgewalt zu begründen, falls
auf die Beseitigung oder Verhinderung des polizeiwidrigen Zustandes nicht schon
eine andere vorhandene Norm Anwendung findet 1). Von besonderer Bedeutung ist
diese allgemeine Vollmacht zur individuellen Behandlung, soweit es sich um Besei-
tigung oder Verhinderung von „ordnungswidrigen“ Zuständen handelt. Was mit
dem angeführten Worte gemeint sein sollte, ist im Gesetze selbst nirgends gesagt.
Wenn die Wissenschaft dem Begriffe der Ordnungswidrigkeit auch eine bestimmtere
Bedeutung zu geben versucht hat 2), so bleibt dem Ermessen der in Frage kommenden
Behörden hier immer doch noch ein weiter Spielraum. Eine Strafsanktion ist mit dem
30 im Gegensatz zum § 29 PStr G# allerdings nicht verbunden.
Die Rechtsgarantien gegenüber den verpflichtenden Einzelverfügungen der Po-
lizeibehörden sind die gleichen, die gegen die bloß vollziehenden Verfügungen dieser
Organe an die Hand gegeben sind (s. S. 304 Abs. 2).
2. Für die Durchführung der von ihnen erlassenen Vorschriften oder ver-
pflichtenden Einzelverfügungen steht den Polizeibehörden
a) zunächst die Anwendung der in den bevollmächtigenden Gesetzesbestimmungen
zugelassenen und in die Verordnungen oder Verfügungen mitaufgenommenen
Strafen zur Verfügung 3). Die Zuständigkeit der Polizeiorgane erstreckt sich
jedoch hierbei nur auf die vorläufige Festsetzung der Strafe mittels Strafverfügung
einschließlich der zur Vorbereitung dieser Verfügung erforderlichen Maßnahmen.
Außerdem obliegt den Polizeibehörden die Vollstreckung der von ihnen erkannten
Strafen, falls der Beschuldigte sich der Entscheidung der Polizeibehörden unterworfen
hat 4). Will sich der von der Strafverfügung Betroffene bei der Entscheidung der
Polizeiorgane nicht beruhigen, so steht es ihm frei, die ordentlichen Strafgerichte
anzurufen, womit die weitere Behandlung der Strafsache auf diese übergeht.
Berufen zum Erlaß von polizeilichen Strafverfügungen sind allgemein die Be-
zirkspolizeibehörden, denen auch zur Vorbereitung dieser Verfügungen die Befugnisse
des § 159 Str PrO. beigelegt sind. Bei Uebertretungen der Vorschriften über die
Benützung der Hafenanlagen am Rhein und seinen Nebenflüssen sowie am Bodensee
konkurrieren mit ihnen die mit der Hafenverwaltung betrauten Finanzbehörden, bei
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1) Die im 8 30, der in erster Linie von der polizeilichen Vollstreckung handelt, mit enthaltene
generelle Ermächtigung zum Erlaß von verpflichtenden Einzelverfügungen darf auch
keinesfalls dazu verwendet werden, um eine durch Vorschrift bereits allgemein geordnete Materie
abweichend von dieser Regel individuell zu behandeln. Zutreffend TOhoma a. a. O. S. 292 ff.
2) Dieselbe versteht unter Ordnungswidrigkeit jede Störung des in den einzelnen Lebens-
gebieten erreichten gesicherten Kulturzustandes. Vgl. Jolly und Eisenl ohr zu § 30, ferner
Otto Mayer, Das Verw. Recht Bd. 1 S. 257 ff. und Thoma S. 43 ff.
3) Sie „stehen zur Verfügung". Verpflichtet zum strafenden Einschreiten sind die Po-
lizeibehörden nicht: das Legalitätsprinzip des § 151 Abs. 2 Str PO. findet keine Anwendung.
4) Str PrO. § 453 ff EEG. zu dem RJG. J#124 u. ff. BO. des Min. des J. v. 11. Sept. 1879
(G. u. VOl. S. 613). Haftstrafen können seit 1879 im Gegensatz zum früheren badischen Recht nur
noch bis zur Höhe von 14 Tagen festgesetzt werden.