Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band V. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (5)

8 104 Die Medizinalverwaltung. 321 
  
Die Rechtsverhältnisse der Aerzte haben eine durchgreifende Neu- 
ordnung in dem Gesetze v. 10. Oktober 19061) erfahren, welches zur Vertretung der Ge- 
samtinteressen des ärztlichen Standes in der Aerztekammer die ihren Sitz in 
Karlsruhe hat, ein besonderes Organ vorsieht und zugleich zur Wahrung des Ansehens 
des Standes ein ehrengerichtliches Verfahren zugelassen hat. Letzteres 
hat dann Platz zu greifen, wenn die im Gesetze nochmals ausdrücklich festgelegte allge- 
meine Pflicht des Arztes, seine Berufstätigkeit gewissenhaft auszuüben und durch sein 
Verhalten sich auch außerhalb des Berufs der Achtung würdig zu zeigen, die sein Beruf 
erfordert, verletzt wird :). Die dem Arzte obliegenden besonderen Berufspflichten sind 
auf Grund des & 134 PStrG. durch Verordnung 3) vorgeschrieben, oder in den all- 
gemeinen Anordnungen über die Bekämpfung von Krankheiten festgelegt. 
Die Aerztekammer hat sich mit allen Fragen und Angelegenheiten zu befassen, 
welche den ärztlichen Beruf sowie die Wahrung und Vertretung der ärztlichen Stan- 
desinteressen oder das Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege betreffen. Sie 
hat das Recht, Anträge an die Staatsbehörden zu richten und soll von den letzteren in 
allen wichtigen ihre Zuständigkeit berührenden Fragen gehört werden; sie kann insbe- 
sondere auch Einrichtungen zur Fürsorge für bedürftige Aerzte und deren Hinterblie- 
bene so wie sonstige Wohlfahrtseinrichtungen im Interesse des ärztlichen Standes 
treffen. Die Mitglieder der Aerztekammer werden in einem durch das Gesetz genau 
geregelten Verfahren durch die Aerzte des Landes in der Weise gewählt, daß innerhalb 
der Kreise auf je 50 Aerzte ein Vertreter und ein Ersatzmann auf vier Jahre berufen 
werden. Die Aerztekammer besitzt die Eigenschaft einer juristischen Person des öffent- 
lichen Rechtes. Sie regelt ihre Geschäftsordnung innerhalb der vom Gesetze gezo- 
genen Schranken selbständig und bestellt ihre Organe für die Dauer der einzelnen 
Wahlperioden. Die zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erforderlichen Mittel 
werden nach Maßgabe der Geschäftsordnung auf die wahlberechtigten Aerzte umge- 
legt. Rückständige Beiträge werden wie Gemeindeabgaben beigetrieben, vorbehaltlich 
der Entscheidung der Verwaltungsgerichte. Die Staatsaufsicht über die Aerztekammer 
führt das Ministerium des Innern. 
Aerztliche Ehrengerichte sind errichtet in Konstanz, Freiburg, Karlsruhe und 
Mannheim;z über denselben steht der ärztliche Ehrengerichtshof in Karlsruhe. Die Mit- 
glieder werden durch Wahl berufen, in die Ehrengerichte werden außerdem vom Minist. 
d. J. je ein und in den Ehrengerichtshof zwei rechtskundige Mitglieder auf die Dauer 
der Wahlperioden ernannt 4). Die Ehrengerichte sind nicht nur zur Entscheidung im 
ehrengerichtlichen Strafverfahren, sondern auch im Vermittlungsverfahren zur Bei- 
legung von Streitigkeiten zuständig, die aus der ärztlichen Berufstätigkeit zwischen 
Aerzten oder zwischen einem Arzt und einer anderen Person entstehen. Der Ehren- 
  
1) G.u. VOl. S. 491. Vollz. VO. dazu v. 20. Nov. 1906 (G.u. VOl. S. 673). 
2) 120 des Ges. wegen politischer, religiöser und wissenschaftlicher Ansichten, insbesondere 
wegen der Wahl und Vertretung einer Heilmethode kann ein ehrengerichtliches Verfahren nicht 
eingeleitet werden. · 
3)VO.dcsMin.d.J.v.ll.Dez.1883,G.11.VOB1.S.336.(An-undAbmeldepflicht,Mit- 
wirkung bei der Medizinalstatistik, Mitwirkung bei den Aufgaben der öffentlichen Gesundheits- 
pflege, Verbot des Dispensierens von Arzneimitteln, Anzeigepflicht bei Verbrechen usw. wider 
das Leben.) 
4) 5§ 21 u. ff. des Ges. 
Walz, Baden. 21
	        
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