§ 11 Rechtsunterschiede der Staatsangehörigen. 27
Ortsbereisungen seitens der Bezirksämter behufs Vortrags etwaiger
Wünsche Kenntnis zu geben 1). Auch haben die Bezirksämter ihre Erlasse an
die Grundherren diesen direkt unter Vermeidung der Zwischeninstanz der Bürger-
meisterämter zugehen zu lassen mit dem Prädikate: Hochwohlgeboren bezw.
Hochgeboren.
Denjenigen Grundherren, welche zu den Familien des früher reichsunmittel-
baren Adels gehören, kommt weiter noch zu:
1. Das Recht der Familienautonomie, d. h. die Befugnis zur
Aufrechterhaltung ihrer zu Zeiten des alten Reiches abgeschlossenen Familien-
verträge und zum Erlaß neuer hausgesetzlicher Vorschriften über ihre Familien-
und Güterverhältnisse. Die Ausübung dieses Rechtes ist jedoch an die landes-
herrliche Bestätigung der einzelnen Akte geknüpft und ist ausgeschlossen, soweit
das Landesrecht entgegensteht 2).
2. Das Recht zur Erledigung gewisser Akte der freiwilligen Ge-
richtsbar keit innerhalb des Kreises der grundherrlichen Familie: bei Sterbe-
fällen „ritterschaftlicher Familienmitglieder“ steht, soweit Verlassenschaftsverhand-
lungen in Frage kommen, die aus privatrechtlichen Gründen geboten sind, die
Führung dieser Verhandlungen zum Zweck einer gütlichen Erledigung der An-
gelegenheit dem Familienhaupte, dem Familienältesten, zu. Diese Befugnis ent-
fällt, wenn es sich um die Wahrung der Interessen von Geschäftunfähigen oder
in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Personen handelt, oder wenn einer der Be-
teiligten die zuständige Staatsbehörde anruft 3).
Die übrigen ziemlich weitgehenden Rechte, welche seiner Zeit den Grund-
herren noch zugesichert worden waren, sind inzwischen teils infolge Eingreifens
der Gesetzgebung, teils auf Grund von Verzichten in Wegfall gekommen 9).
Die Zusicherung gewisser Erleichterungen bei der Allodifikation der Lehen
ist nach durchgeführter Lehensablösung bedeutungslos geworden; das Ehrenrecht
der eigenen Uniform bietet kein juristisches Interesse. Das Ehrenrecht des acht-
tägigen Trauergeläutes beim Tode des Familienhauptes unter gleichzeitiger Ein-
stellung der Tanzmusik innerhalb der Grundherrschaft ist, nachdem die „Herrschaft"“
der Grundherren sich nur noch auf den Bereich ihrer Schlösser, Wohnungen und
Zubehörden erstreckt, ebenfalls ohne rechtliche Bedeutung.
Der Kirchenpatronat und das Ehrenrecht des Kirchengebetes bestimmt sich nach
kirchenrechtlichen Vorschriften.
IIII. Der standesherrliche Adel. 1. Zum standesherrlichen Adel
Badens gehören die Mitglieder derjenigen fürstlichen und gräflichen Familien,
1) Erlaß Minist. d. J. v. 4. Jan. 1859 Centr. VOl. Nr. 2 S. 5.
2) Ed. v. 23. April 1819 §§8 38,11, BBd A. XIV. Die Veröffentlichung 'solcher bestätigter
Statute erfolgt durch d. Reg. bezw. G.u. VOl. vgl. R. Bl. 1823 Nr. 16, 30. 1824 Nr. 14,
1828 Nr. 12 u. s. w.
3) Ed. v. 23. April 1818 5 9, 38. Näheres hierüber bei Dorner a. o. a. O. S. 540 ff.
4) Der befreite Gerichtsstand wurde durch das Ges. v. 15. Febr. 1851 (Reg. Bl. S. 137)
aufgehoben. Auf die Forstgerichtsbarkeit, die Forst- und Jagdpolizei wurde seitens der Grund-
herren schon um die Mitte des vierten Jahrzehnts des vergangenen Jahrhunderts verzichtet.
Die Sonderstellung hins. der Gemeindebesteuerung, ebenso die Befugnisse auf dem Gebiete
der Gemeindeverwaltung wurden durch die staatliche Gemeindegesetzgebung beseitigt, zum Teil
gegen Zubilligung von Entschädigungen. Die Schulpatronate wurden durch das Gesetz vom
28. April 1870 (G.u. VO l. S. 349) aufgehoben.