456 Die innere Verwaltung. Die geistige Verwaltung. 8 135
die staatliche Erziehung ganz allgemein wegen Verwahrlosung zu, wenn das sittliche
Wohl einer Person jugendlichen Alters infolge Verschuldens der Eltern oder Fürsorger
gefährdet war, oder wenn die Gewalt der Eltern und Erzieher oder die Zuchtmittel
der Schule nicht mehr ausreichten, um den völligen sittlichen Verderb einer Person
der genannten Art zu verhüten. Die Einführung des BGB. hat die dem öffentlichen
Rechte angehörende Zwangserziehung an und für sich nicht berührt, wohl aber wurden
derselben im Hinblick auf die mit ihr verbundenen Eingriffe in das private Erziehungs-
recht reichsrechtlich gewisse Schranken gezogen 1). Nachdem mit Rücksicht hierauf sowie
mit Bezug auf die inzwischen erfolgte Ergänzung des §& 362 Abs. 3 des RSt. G. 2)
unterm 16. August 1900 eine umfassende Novelle zum früheren Gesetze ergangen war 3),
welche zugleich einige andere Unvollkommenheiten des bisherigen Rechtszustandes be-
hob, wurde der gesamte Gesetzestext unter der Ueberschrift: Gesetz betr. die Zwangs-
erziehung von den beiden Ministerien der Justiz und des Innern in der neuen Fassung
veröffentlicht /).
Die unterm 27. Nov. 1889 von den beiden genannten Ministerien zum ersten
Gesetze erlassene umfassende Vollz. VO. wurde unterm 6. Febr. 1906 durch eine neue,
Vorschrift ersetzt 5).
1. Die Einleitung der Zwangserziehung ist nur zulässig gegenüber Personen,
die das 18. Lebensjahr nicht überschritten haben ).
Formelle Voraussetzung derselben ist ein die Anordnung der Zwangserziehung
verfügender Beschluß des Vormundschaftsgerichtes oder ein Aus-
spruch des Strafrichters, daß ein wegen mangelnder Einsicht freigespro-
chener jugendlicher Verbrecher in eine Erziehungs= oder Besserungsanstalt verbracht
werden, bezw. daß eine nach § 361 RSt GB. bestrafte Prostituierte jugendlichen Alters
der Landespolizeibehörde überwiesen werden soll?).
Auf die Staatsangehörigkeit des Betroffenen kommt es nicht an; die Zwangs-
erziehung kann auch auf Nichtbadener und Reichsausländer angewendet werden, vor-
ausgesetzt, daß für dieselben die Zuständigkeit eines badischen Gerichtes begründet ists).
Das Vormundschaftsgericht darf die Zwangserziehung nur anordnen: a) wenn
einer der Fälle der §#§ 1666, 1686, 1838 BG. und § 55 RSt#B. vorliegt, und die
Maßregel der Zwangserziehung zur Verhütung der sittlichen Verwahrlosung notwendig
ist, bp) wenn die Zwangserziehung außer diesen Fällen zur Verhütung des völligen
sittlichen Verderbs geboten erscheint ).
2. Das Vormundschaftsgericht beschließt in der Regel auf Antrag des Bezirks-
1) EG. Art. 135. Ueber den Unterschied zwischen den nach dem BGB. zulässigen obervor-
mundschaftlichen Fürsorgemaßnahmen und der Zwangserziehung vgl. Dorner a. a. O. S. 574
und Dorner und Seng S. 668 Anm. II.
2) RE. vom 25. Juni 1900 (Reg.Bl. S. 301).
3) G.u. VOl. S. 938.
4) Bekanntmachung vom 21. August 1900 (G.u. VOl. S. 1022).
5) G.u. WOl. S. 43 ff. Vgl. z. B. §13, wo bei sonstiger guter Führung wegen einzelner De-
likte Strafausschub und Begnadigung in Aussicht gestellt wird.
6) Gegenüber von Kindern unter 6 Jahren soll das Z. Erz. nur in ganz besonders dringenden
Fällen zur Anwendung kommen. 4 Vollz. V O.
7) 2, 12 des Ges. § 56 Abs. 2, 5 362 Abs. 3 RStrG.
8) & 1 des Ges.
9) § 1 des Ges. Art. 135 EG. zum B(6B.