Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band V. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (5)

§ 136 Verhältnis der Glaubensgesellschaften im Staate. Geschichtliche Uebersicht. 459 
  
lische Kirche berufene Oberkirchenrat sollte zugleich auch die „Kirchenherrlich- 
keit des Regenten verwalten“. In der katholischen Kirchenverfassung wurde diese 
letztere „von der geistlichen Kirchengewalt getrennt und eigenen desfallsigen Staats- 
stellen zugeteilt“ 1). 
Die Kirchengewalt der katholischen Kirche sollte, soweit nicht die Tätigkeit 
ihres Oberhauptes in Frage kam, von einem im Lande sich aufhaltenden Bischof 
einheitlich für alle Kirchspiele geführt werden. Die nähere Ordnung der einschlagenden 
Verhältnisse wurde einem abzuschließenden Konkordate vorbehalten. Einstweilen 
wurden die verschiedenen bestehenden bischöflichen Gewalten anerkannt. 
Als Ausflüsse der Kirchenherrlichkeit des Staates waren besonders hervorgehoben: 
„Die Kenntnisnahme von allen Gewaltshandlungen der Kirchen in ihrem Innern; 
die Vorsorge, daß nichts geschehe, was überhaupt oder doch unter Zeit und Umständen 
dem Staate Nachteil bringt; das Recht, zu allen öffentlichen Verkündigungen, welche 
die Kirchengewalt beschließt, ingleichen zu allen Diensternennungen, die ihr überlassen 
sind, das Staatsgutheißen zu erteilen oder nach Befinden zu versagen und damit bis 
auf weitere Vereinbarung den Vorgang rückstellig zu machen; das Recht für der- 
gleichen kirchliche Diensternennungen solchen Personen den Ausschluß zu geben, deren 
Aufstellung für diesen Posten in Staatshinsicht bedenklich scheint; das Recht, Gesell- 
schaften und Institute, die sich für einen bestimmten kirchlichen Zweck mit Willen der 
Kirchengewalt bilden, zuzulassen oder nicht zuzulassen; das Recht, die zugelassenen 
Kirchenanstalten, wenn sie von ihrem ursprünglichen Zweck abweichen, oder ihre 
Tauglichkeit für dessen Erreichung verlieren, darauf zurückzuführen, oder sie ganz 
aufzuheben, doch daß es in einer Art geschehe, die mit den Grundsätzen derjenigen 
Kirche, deren sie angehören, vereinbarlich ist, das Recht, von allen entstehenden 
Klagen, Beschwerden oder Anstößigkeiten, die aus einem Mißbrauch der Kirchenge- 
walt oder aus einem rechtswidrigen Verfahren derselben entstehen, Einsicht zu neh- 
men und das zu dessen Verhinderung nach Befinden der Umstände Geeignete vor- 
zukehren“. Dabei wurde trotz scharfer Betonung der Unabhängigkeit der Staats- 
gewalt deren Vertretern vor allem die Erzielung eines Einverständnisses mit den 
kirchlichen Organen anempfohlen. 
Die Pfarrer und Rabbiner wurden bei der Verkündung und Einsegnung einer 
Ehe usw., auch bei der Aufnahme in eine Religionsgemeinschaft sowie beim Begraben 
der Toten ausdrücklich nicht nur als Kirchendiener, sondern auch als Staatsbeamte 
bezeichnet. 
Die Ausübung der aus der Kirchenherrlichkeit des Staates sich ergebenden Be- 
fugnisse wurde bei der Einführung der Organisation vom 26. Nov. 1809 dem beim 
Ministerium des Innern als besondere Abteilungen gebildeten „Katholischen“ und 
„Evangelischen Kirchlichen Departement“ übertragen; letzteres besorgte zugleich die 
„innere Kirchenregierung in ihrem ganzen Umfang" 1). Durch landesherrliche VO. vom 
5. Januar 18432) wurden beide Abteilungen, die im Jahre 1812 die Benennung 
„Katholische“ und „Evangelische Ministerial-Kirchen-Sektion“ erhalten hatten, ohne 
Aenderung ihrer Zuständigkeit in Zentralmittelstellen umgewandelt unter der Bezeich- 
nung „Katholischer“ und „Evangelischer Oberkirchenrat“. Für die Verwaltungsfüh- 
rung in der unteren Instanz wurden, „um der Besorgung der kirchlichen und Schul- 
gegenstände eine mit dem Organisationsedikt übereinstimmende Form zu geben“, 
im Jahre 1810 eine Reihe von landesherrlichen Dekanaten (damals 82 katholische 
und 35 evangelische) ins Leben gerufen 38). 
Die im Konstitutionsedikt erwähnte, bereits im RDHSchl. (5§ 62) vorbehaltene 
neue Diözesaneinrichtung erfolgte sodann für Baden, nachdem die Grundsätze der 
Gewissensfreiheit, der Gleichstellung der drei christlichen Konfessionen und der Un- 
antastbarkeit des Kirchengutes inzwischen durch die Verfassungsurkunde eine erneute 
Sanktion erhalten hatten, durch die unterm 16. Oktober 18274) erlassene Bekannt- 
machung der beiden Bullen: Provida solersque und Ad dominici gregis custodiam. 
  
e 
1) Reg. Bl. 1809 Nr. 49 Beilage F. 
2) Reg. Bl. S. 9. 
3) Reg. Bl. 1810 S. 361; später mannigfach abgeändert. 
4) Reg. Bl. S. 211.
	        
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