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schließung, nicht im Auftrage der Stände. Die Kammern selber „können keine
Verfügungen treffen oder Bekanntmachungen irgend einer Art erlassen 1). Sie
haben insbesondere auch nicht die z. B. in der Preuß. Verf. Urk. # 82 einge-
räumte Befugnis, „behufs ihrer Information Kommissionen zur Untersuchung von
Tatsachen zu ernennen“ und durch Vermittelung des Ministeriums Behörden
oder Privatpersonen einvernehmen zu lassen.
Eine Ausnahme von dieser Beschränkung der ständischen Kompetenz greift
nur bezüglich der Erhebungen über beanstandete Wahlen, bezüglich der Rechnungs-
abhör und bei der Ministeranklage Platz 2). Die Durchführung dieser letzteren
gewährt der zweiten Kammer unter Umständen die Möglichkeit, einen ihr nicht
genehmen Minister vom Amte zu entfernen. Eine weitergehende direkte Beein-
flussung des Monarchen, mit dem die Kammern auch nur auf Grund einer be-
sonders erteilten Erlaubnis des Herrschers in unmittelbaren persönlichen Verkehr
treten können 3), kommt den Ständen nicht zu. Baden ist zwar ein konstitutio-
nell, aber kein parlamentarisch regierter Staat /).
Etwaige Streitigkeiten über die Kompetenzen der Stände können, da in
Baden für die Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten eine allgemein zustän-
dige Behörde nicht besteht, sofern die Ministeranklage nicht einen geeigneten Weg
zum Austrag bieten sollte, gemäß § 76 Abs. 2 R. Verf. dem Bundesrate zur
Erledigung in dem daselbst bezeichneten Verfahren zur Vorlage gebracht werden 5).
8 19. Die Gliederung der Landstände. 1. Die Landstände sind nach der
Verf. Urkunde nicht als ein einheitliches Kollegium, sondern als zwei nebenein-
anderstehende Abteilungen gedacht, von denen jede eine besondere Bezeichnung
führt. Sie zerfallen in eine erste und in eine zweite Kammer.
Die beiden Abteilungen können zwar von dem Landesherrn nur zusammen
einberufen und auch nur gemeinsam wieder außer Tätigkeit gesetzt werden, auch
ist zur Abgabe einer gültigen Willenserklärung der Stände die übereinstimmende
Meinungsäußerung beider Abteilungen nötig; aber jede der beiden Kammern
hat eine eigene Verfassung, beratschlagt und beschließt grundsätzlich für sich allein,
ohne von den Beschlußfassungen des anderen Kollegiums irgendwie abhängig
zu sein.
Diese Trennung der Tätigkeit der zwei Kammern ist in der Verfassungs-
urkunde mit ganz besonderer Schärfe hervorgehoben "). Ein Zusammentreten der
Kammern ist nur bei der Eröffnung und Schließung des Landtages zugelassen.
Eine gemeinsame Beratung durch Mitglieder aus beiden Kammern darf nur
im Wege des Zusammentrittes der beiderseitigen Kommissionen erfolgen,
wenn über abweichende Beschlüsse eine Verständigung erzielt werden soll.
1) Verf. Urk. 3/ 75 Abs. 4.
2) Vgl. LW Ges. § 73; Oberrechn.-Kammer-Ges. Art. 18 Abs. 3 und Art. 19; Verf. Urk. § 67 ff.
u. Minister-Anklage-Ges. v. 11. Dez. 1869.
3) Verf. Urk. § 75 Abs. 5.
4) Die Verf. Urk. hat diesem Gedanken in ihrem § 56 bei der Regelung des Steuerbewilligungs-
rechtes der Stände besonderen Ausdruck gegeben: „Die Stände können die Bewilligung der Steuern
nicht an Bedingungen knüpfen“.
5) Also event. auch von seiten der Regierung.
6) Verf. Urk. §#. 75.