Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band V. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (5)

64 Die Organisation. Die Landstände. 8 20 
  
und die von Baden übernommenen zwei Hochschulen, und endlich sollte dem 
Landesherrn die Möglichkeit gegeben werden, eine beschränkte Zahl von hervor— 
ragenden um das Land verdienten Männern von sich aus in die Ständever— 
sammlung zu berufen. 
Die hiermit vorgezeichnete Zusammensetzung der ersten Kammer blieb vom 
Erlaß der Verfassung an bis in die allerneueste Zeit unverändert erhalten 1). 
Erst die durch die Verfassungsnovelle vom 24. August 1904 bewirkte Neu- 
ordnung der Verhältnisse der Stände brachte eine wesentliche Umgestaltung: den 
Häuptern der standesherrlichen Familien wurde das lange Zeit vergeblich bean- 
spruchte Recht der Stellvertretung eingeräumt; ebenso wurde der Technischen 
Hochschule eine Vertretung bewilligt; die Wahl der grundherrlichen Abgeordneten 
wurde anders geregelt; das Ernennungsrecht des Großherzogs wurde in gewisser 
Hinsicht eingeengt; vor allem aber erfuhr die erste Kammer durch den Hinzu- 
tritt von gewählten Vertretern der gesetzlich organisierten Berufskörperschaften, 
der Städte und der Kreisverbände eine ganz erhebliche Verstärkung 2). 
II. Zur Zeit besteht die erste Kammer aus folgenden Mitgliedern: 
1. Aus den Prinzen des Großherzoglichen Hauses, d. h. aus 
den Agnaten des regierenden Großherzoges. 
Die Prinzen treten nach erlangter Volljährigkeit in die Ständeversamm- 
lung ein 3). 
2. Aus den Häuptern der standesherrlichen Familien 4), die im Großherzog- 
tum eine Standesherrschaft besitzen. Teilt sich eine standesherrliche Familie in 
mehrere Zweige, so ist das Haupt eines jeden Zweiges, das sich im Besitze einer 
Standesherrschaft befindet, Mitglied der ersten Kammer. 
Auch die Standesherren erwerben das Recht auf Sitz und Stimme in der 
Kammer mit erreichter Großjährigkeit. 
Die gleiche Stellung wie die Standesherren nehmen hinsichtlich der Land- 
standschaft diejienigen Häupter adeliger Familien ein, denen der Großherzog das 
erbliche Recht der Mitgliedschaft in der ersten Kammer verliehen hat. Eine solche 
Verleihung der „erblichen Landstandschaft" kann nur unter der Voraussetzung 
erfolgen, daß die betreffende Familie innerhalb des Großherzogtums einen nach 
dem Recht der Erstgeburt und der Linealerbfolge vererblichen liegenschaftlichen als 
Stammgut anerkannten Besitz innehat, der nach Abzug des Lastenkapitals im 
  
1) Anregungen zu einer grundsätzlichen Aenderung der I. K. wurden zwar schon im Jahre 1844 
(Motion Andlau) und im Jahre 1864 (Motion Bluntschli) gegeben. Zum Gegenstand einer 
gesetzgeberischen Behandlung wurden die Verhältnisse der 1. K. nur hins. der Berechnung ihrer 
Vollzähligkeit bei Beschlüssen über Verfassungsänderungen gemacht (Ges. v. 17. Juni 1862 aufge- 
hoben durch die Novelle v. 24. August 1904). Unterm 22. Dez. 1873 wurde in der II. K. auf Bluntschlis 
Antrag. eine auf die Aufhebung der I. K. gerichtete Resolution gutgeheißen. Vgl. Glockner 
a. a. O. S. 10 ff. 
2) Ueber die Vorgeschichte des Gesetzes v. 24. Aug. 1904 vgl. neben den Drucksachen des Land- 
tages 1903/4 vor allem die eingehenden Darlegungen von Glockner a. a. O. 14 ff., sowie 
meine Darstellung im Jahrbuch des öffentl. Rechtes der Gegenwart Bd. I S. 317 ff. 
3) Verf. Urk. § 27 Ziff. 1; § 28 Abs. 1. Die Volljährigkeit beginnt, wie früher hervorgehoben, 
beim Erbgroßherzog mit dem vollendeten 18., bei den übrigen Prinzen mit dem vollendeten 21. 
Lebensjahr. 
4) Verf. Urk. § 27 Ziff. 2; +28.
	        
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