Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band V. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (5)

8 23 Die rechtl. Stellung d. einzelnen Ständemitglieder. Die Zuständigkeit d. Landstände. 77 
  
solche nicht schon aus dem oben unter Ziffer 1 gesagten ergeben: 
a) In der Verbindlichkeit, sich am Versammlungsort der Stände aufzuhal- 
ten und den Sitzungen der betreffenden Kammer anzuwohnen. Ein Fernbleiben 
ist, wenn nicht Krankheit oder unvermeidliche Hindernisse entschuldigen, nur in 
dringenden Fällen mit Erlaubnis des Präsidenten gestattet 1). Ebenso ist, da 
das Recht des einzelnen Ständemitgliedes auf seine Stellung ein höchst persön- 
liches ist, die Ausübung der aus diesem Rechte abfließenden Kompetenzen durch 
Stellvertreter ausgeschlossen 2). Wo das Gesetz, wie bezüglich der Häupter der 
standesherrlichen Familien, eine notwendige oder freiwillige Stellvertretung zu- 
läßt, hat dies die Wirkung, daß der Vertretene für die ganze Sitzungsperiode 
das Recht zur Ausübung seiner Mitgliedschaft verliert, und daß der Vertreter 
für diese Zeit als sein Ersatzmann eintritt. Eine von Seiten des Vertretenen 
etwa ergehende Instruktion an den Vertreter ist rechtlich ohne Bedeutung, wie 
auch eine Beschränkung oder Wiederaufhebung des Vertretungsverhältnisses vor 
Ablauf der betreffenden Sitzungsperiode unzulässig wäre. 
Ein direktes Zwangsmittel, die Ständemitglieder zur Anwesenheit am Sitze 
der Ständeversammlung und zur Teilnahme an der letzteren zu bestimmen, steht 
nicht zur Verfügung; das Fernbleiben ist insbesondere kein gesetzlicher Grund 
zur Mandatsentziehung. 
b) Sämtliche Mitglieder der Ständeversammlung haben bei Eröffnung des 
Landtages die Erfüllung der ihnen obliegenden Verpflichtungen durch einen be- 
sonderen Eid zu bekräftigen 3). Ueber die Folgen einer etwaigen Eidesver- 
weigerung besteht keine Vorschrift. Nach dem bestimmten Wortlaute der Verfas- 
sung wird man wohl annehmen müssen, daß der Weigerer kein Recht hat, sich 
an den Verhandlungen des Landtages zu beteiligen, aus der geschehenen Eides- 
verweigerung aber ohne weiteres den Verlust des Mandates selber ableiten zu 
wollen, ist nicht angängig "). Der von der Tagung wegen der Eidesverweige- 
rung Ausgeschlossene ist gleich zu behandeln einem freiwillig fern bleibenden 
Kammermitglied. 
c) Die Ständemitglieder sind während der Dauer der einzelnen Kammer= 
sitzungen der Disziplinargewalt des Präsidenten unterworfen. Näheres 
hierüber siehe unten bei der Besprechung des Geschäftsganges der Kammern. 
§ 23. Die Zuständigkeit der Landstände. I. Die politischen Kom- 
petenzen der Stände. 1. Nach § 64 der Verf.-Urk. sind die Stände zur Mit- 
1) Ausgenommen von der Verpflichtung anzuwohnen sind jedoch die im § 27 Ziff. 1—3 ge- 
nannten Personen (arg. § 73 Abs. 2 Verf. Urk.). Vgl. im übrigen G O. I. K. § 79: II. K. § 89. Daß 
der ohne Urlaub vom Sitze der Kammer fern Bleibende ebensowenig Diäten erhalten darf wie ein 
beurlaubtes Mitglied, ist selbstverständlich. 
2) Verf. Urk. §& 47. 
3) Verf. Urk. / 69. Derselbe lautet nach Art. 4 d. Ges. v. 17. Februar 1849 (Reg. Bl. S. 75): 
Ich schwöre: Treue dem Großherzoge, Gehorsam dem Gesetze, Beobachtung und Aufrechterhaltung 
der Staatsverfassung und in der Ständeversammlung nur des ganzen Landes allgemeines Wohl 
und Bestes, ohne Rücksicht auf besondere Stände oder Klassen nach meiner inneren Ueberzeugung 
zu beraten: So wahr mir Gott helfe! 
4) a. A. Glockner a. a. O. zu & 69, Verf. Urk., obwohl er bei Aufzählung der Gründe des 
Verlustes der Kammermitgliedschaft in der Anmerkung zur Verf. Urk. & 39 diesen Fall selbst nicht 
erwähnt; vgl. a. a. O. S. 108 f. gegen Glockner auch Jellinek, Verf.Aenderung u. Wand- 
lung S. 12.
	        
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