80 Die Organisation. Die Landstände. g 23
4. Als äußerstes Mittel zur Geltendmachung ihres Einflusses auf die Verwal-
tung besitzen die Stände endlich die Befugnis zur Beantragung des Disziplinar-
verfahrens gegen die Mitglieder der Oberrechnungskammer und das Recht zur
Erhebung einer Anklage gegen die Minister.
Bestehen über die Einleitung des Disziplinarverfahrens zwischen den beiden
Kammern Meinungsverschiedenheiten, so findet, da es sich hier um die Geltend-
machung eines Budgetrechtes handelt, die Vorschrift des §& 61 der Verf.-Urkunde
Anwendung 1). Die Ministeranklage kann seit der Verf.-Novelle vom 20. Febr.
1868 nur noch allein von der zweiten Kammer erhoben werden, während die
erste Kammer durch Personen aus dem Richterstande verstärkt über die erhobene
Anklage als Staatsgerichtshof zu entscheiden hat 2).
II. Die kolle gialen Kompetenzen der Stände. 1. Jede Kam-
mer hat das Recht zur Prüfung der Legitimation ihrer Mitglieder: 3)
Nach dem Wortlaute der Verf.-Urkunde erstreckt sich die Kompetenz der ein-
zelnen Kammer zwar nur auf ein „Erkennen“ „über die streitigen Wahlen der
ihr angehörenden Mitglieder“. Die Absicht der fraglichen Bestimmung geht je-
doch dahin, den Kammern ganz allgemein die Befugnis zur Prüfung der Be-
rechtigung aller ihrer Wahlmitglieder zu übertragen und von dem Ausfall dieser
Prüfung die Anerkennung der Gewählten als Kammermitglieder abhängig zu
machen, auch wenn eine förmliche Wahlanfechtung nicht vorliegt ). Eine Prüfung
der Legitimation der nicht durch Wahl berufenen Mitglieder hat bisher seitens der
Stände niemals stattgefunden, es besteht jedoch kein Zweifel, daß die erste
Kammer hierzu berechtigt wäre 5).
Aus dem den Kammern eingeräumten Prüfungsrechte folgt weiter, daß die-
selben nicht nur bei der ersten Zulassung, sondern auch fernerhin über das Vor-
handensein der Legitimation ihrer Mitglieder zu wachen haben, und daß sie des-
halb auch befugt sind, bei einem späteren Wegfall der Voraussetzungen für die
Mitgliedschaft diese letztere für erloschen zu erklären.
Da die Tätigkeit der einzelnen Kammern bei der Legitimationsprüfung,
wenn sie sich auch in anderen Formen bewegt wie die der Gerichte, der Sache
nach doch eine rein richterliche ist, so ist die Kammer bei der Geltendmachung
nicht aber auch die Verleihung eines Beschwerderechtes an die einzelnen Staatsbürger. Die be-
sondere Hervorhebung des im Abs. 2 besprochenen Falles und vor allem das Verlangen der Er-
füllung bestimmter formeller Voraussetzungen für die Geltendmachung dieser Beschwerden hätte
jedoch, da die Stände jede ihnen geeignet erscheinende Beschwerde zu der ihrigen zu machen, ohne-
dies befugt sind, keinen Sinn, wenn man damit nicht zugleich auch ein Recht des „enthörten“ Pri-
vaten anerkennen wollte. Eine analoge Vorschrift gilt im bayr. Recht (ogl. Secydel, bayr. Sth.
Bd. l S. 372); übereinstimmend mit dem hier vorgetragenen, speziell auch für Baden, Löning
im Verw. Archiv Bd. XIII S. 14 u. 26. Ein allgemeines Beschwerderecht des Inhaltes, daß ein
jeder, der sich wegen der Kränkung seiner Rechte oder Interessen an die Kammer wendet, von die-
sen eine Prüfung seiner Beschwerden verlangen kann, besteht für Baden allerdings nicht.
1) Oberrechnungskammer Ges. Art. 19 Abs. 1 u. 2, vgl. dazu Glockner. a. O. S. 342.
2) Verf. Urk. §§ 67 a ff. u. Ges. v. 11. Dez. 1869 bezw. 3. März 1879. Näheres über beide
Rechtsmittel siehe unten im Texte # 30 u. X 91.
3) Acg. Verf. Urk. § 41. Vgl. zum folgenden vor allem die Abbdlg. in d. Zeitschr. f. Bad. Ver-
waltung usw. 1902 Nr. 14 über die Prüfung der parlamentar. Wahlen zunächst nach badischem
Recht (auch im Sonderabdruck erschienen, Heidelberg 1902 bei A. Emmerling u. Sohn).
4) Dem entspricht auch die bisherige, nie beanstandete, Uebung.
5) Uebereinstimmend Wielandt a. a. O. S. 67.