Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band V. Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden. (5)

82 Die Organisation. Die Landstände. 8 23 
  
über Tatsachen, die für das Ergebnis einer Wahl von Bedeutung sind, noch 
nähere Erhebungen wünscht, hat in dem neusten Landtagswahlgesetze vom 
24. August 1904 eine gesetzliche Regelung Platz gegriffen. Der 8 74 des ge— 
nannten Gesetzes schreibt vor, daß in diesem Fall die Kammer sich mit einem 
Ersuchen an das Ministerium des Innern zu wenden habe. Dieses Ministerium 
ist dann verpflichtet, die von der Kammer als erforderlich bezeichneten Beweise 
zu erheben, ungeachtet seiner Befugnis, noch weitere ihm geeignet erscheinende 
Ermittelungen vorzunehmen #). 
2. Die einzelnen Kammern sind berechtigt, soweit dies nicht bereits durch 
direkte gesetzliche Anordnungen geschehen ist, ihre eigene Verfassung 
näher aus zugestalten, d. h. sowohl ihre innere Organisation wie ihren 
Geschäftsgang näher zu regeln. 
In der Verf.-Urkunde vom 22. August 1818 wurde, obwohl in derselben 
bezüglich der Organisation nur einzelne Andeutungen 2) und hinsichtlich der Ge- 
schäftsbehandlung auch nur ganz fragmentarische Bestimmungen 3) enthalten waren, 
dieser Befugnis der Kammern mit keinem Worte gedacht. Die Regierung ging 
deshalb bei Eröffnung des ersten Landtages des Jahres 1819 mit dem Ge- 
danken um, die vorhandene Lücke durch ein besonderes Gesetz auszufüllen, das 
vor allem auch den Geschäftsgang der Ständeversammlung näher bestimmen 
sollte. Auf den Widerspruch der zweiten Kammer, welche die Regelung dieser 
Angelegenheit für eine Aufgabe der Stände erklärte, gab sie jedoch ihr Vor- 
haben wieder auf unter stillschweigender Billigung des von der zweiten und 
darnach auch von der ersten Kammer eingenommenen Standpunktes. In jahr- 
zehntelanger Praxis festgehalten erhielt dann die Anschauung der Stände durch 
die beiden Verf.-Novellen vom 21. Oktober 1867 und vom 21. Dez. 1869 in- 
sofern eine direkte gesetzliche Bestätigung, als in diesen Novellen die Geschäfts- 
ordnungen der Kammern ausdrücklich als eine maßgebende Norm bezeichnet 
wurden 4). 
Ihrer rechtlichen Bedeutung nach charakterisieren sich die hier in Frage kom- 
menden Beschlüsse der Kammern, welche den wesentlichen Inhalt der sogen. 
Geschäftsordnungen ausmachen, nicht etwa als Ausflüsse der Satzungsgewalt einer 
autonomen Körperschast, sondern als staatliche Verordnungen, die einen „Bestand- 
teil der Normen bilden über staatliche Organisation“ 6). Daran ändert auch der 
Umstand nichts, daß diese Beschlüsse, weil allein auf dem Willen der jeweiligen 
Kammermojorität beruhend, nur für den betreffenden Landtag rechtliche Gel- 
tung besitzen und auch während der Dauer einer Session durch Majoritätsbe- 
schluß jederzeit wieder abgeändert werden können. Solange sie bestehen, binden 
sie alle Mitglieder der Kammern und, soweit nicht besondere gesetzliche Bestim- 
  
1) Durch diese Gesetzesbestimmung ist eine früher lebhaft erörterte Streitfrage aus der Welt 
geschafft. Das seitens des Minist. einzuhaltende Verfahren richtet sich nach der Verf. O. v. 31. Aug. 
1884 mit gewissen Ergänzungen aus der Str Pr- O. vgl. §+ 74 Abs. 3 des Ges. 
2) Vgl. Verf. Urk. §§ 45, 70 ff. 
3) Vgl. Verf. Urk. 88 70 ff. 
4) Vgl. hierzu die angef. Abhandlung über die Wahlprüfungen S. 12 ff. 
5) Vgl. Jellinek, Subj. öff. Rechte S. 169.
	        
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