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streit meistens sehr lange dauert, wofür außerdem auch die starke Aberlastung
der Behörden als Grund anzusehen ist. Wer viel mit zahlungsunwilligen
Schuldnern zu tun hat, der weiß, welche Schwierigkeiten schon in Deutschland
bei einer Zustellung gemacht werden können. In Rußland hat ein solcher
Schuldner es natürlich viel günstiger.
Abschreckend wirkt endlich in Rußland auch die Höhe der Prozeßkosten.
Man kann die Kosten einschließlich der Anwaltsgebühren auf 12 bis 15 vom
Hundert der eingeklagten Forderung veranschlagen. Das ist gegenüber den
deutschen Gerichtskosten eine außerordentlich hohe Belastung. Da der
Kläger damit rechnen muß, daß ihn bei Abweisung der Klage oder bei
Zahlungsunfähigkeit des Schuldners die Kosten allein treffen, läßt sich leicht
verstehen, weshalb ein deutscher Kaufmann nur ungern dazu greift, eine
Schuld in Rußland einzuklagen.
Der deutsche Gläubiger eines in Frankreich wohnenden Schuldners
ist zwar wesentlich besser gestellt, hbat aber doch auch mit sehr viel größeren
Schwierigkeiten zu kämpfen, als im umgekehrten Falle ein Franzose in
Deutschland. Die Rechtslage ist allerdings übersichtlicher, da das französische
Recht wie das deutsche in Gesetzbüchern niedergelegt ist, die technisch wohl
auf gleicher Stufe steben. Die Beschwerden, die man bisher von deutschen
Klägern in Frankreich gehört hat, beziehen sich — abgesehen von den auch
hier beträchtlich hohen Kosten — einmal auf die lange Dauer des Voll-
streckungsverfahrens, das Verschleppungsversuche des Schuldners begünstigt,
zweitens aber auch auf eine gewisse Ansicherheit der Rechtspflege, die man
sich nur durch eine bei Gericht vorhandene Mißstimmung gegen den aus-
ländischen Kläger erklären zu können glaubt.
In England einen Rechtsstreit zu führen, sucht der deutsche Gläu-
biger fast ebenso gern zu vermeiden. wie in Rußland. Das liegt erstens
auch an der Höhe der Prozeßkosten, zweitens an der langen Dauer des Ver-
fahrens, und drittens an der Eigenart des englischen Rechts, das nicht in
Gesetzbüchern neuerer Fassung niedergelegt ist, sondern sich größtenteils aus
#berlieferungen ergibt, die zum Teil Jahrhunderte zurückreichen. Klagen in
England lohnen meistens nur, wenn es sich um ganz große Summen handelt.
Jedenfalls darf man sagen, daß der deutsche Gläubiger gegenüber
einem Schuldner in den feindlichen Staaten dadurch stark benachteiligt ist,
daß er aus den verschiedenen dargelegten Gründen von der zwangsweisen
Durchführung seines Rechtes in den meisten Fällen absehen muß. Ein
Engländer, Franzose oder Russe, der sein Recht in Deutschland suchen muß,
steht viel günstiger da. Diese, seit Jahren schon schwer
empfundene Ungleichbeit der Rechtslage zu beseitigen und
dem deutschen Gläubiger bessere Möglichkeiten der Rechtsverfolgung zu