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loren haben, in dem sie selbst zweifellos noch nicht die Reife besitzen konnten,
um die Bedeutung dieses Vorganges zu würdigen.
Bestimmend war bei solchen Entlassungen wohl in erster Reihe der Ge-
danke an die künftige Wehrpflicht. Jedoch ist es sicherlich nur in vereinzelten
Fällen der Wunsch gewesen, sich der Möglichkeit zu entziehen, einmal sein
Leben für sein Vaterland aufs Spiel setzen zu müssen. Entscheidend war
vielmehr in den meisten Fällen bei dem Vater die Rücksicht auf die wirt-
schaftlichen Folgen des Militärdienstes. Nach dem damaligen Rechts-
zustande wurde auf die wirtschaftlichen Nachteile, die eine Familie durch die
Einziehung ihres Ernährers zum Militärdienst erlitt, weit weniger Rücksicht
genommen als heute. In dieser Beziehung sind die Vorschriften zugleich
mit dem neuen Staatsbürgergesetz im Jahre 1913 erbeblich gändert worden.
Damals aber geschah es in zahlreichen Fällen, daß eine Familie, die darauf
angewiesen war, durch den Sohn einen AUnterhaltsbeitrag sich zu ver-
schaffen, seine Entlassung aus dem Staatsverband beantragte und ihn ins
Ausland schickte, wo er günstigere Erwerbsbedingungen zu finden hoffte.
Daß diese Söhne dann im Auslande nicht mehr zu der staatsbürgerlichen
Einsicht kamen, zu ermessen, was ihnen durch den Verlust der Staats-
angehörigkeit entgangen war, ist begreiflich. Meistens ist ihnen erst in
späteren Jahren diese Erkenntnis aufgegangen; aber ihre Versuche, dann
wieder in das Deutsche Reich Aufnahme zu finden, sind meistens ergebnislos
geblieben. Das liegt zum Teil an der Gestaltung des alten Staatsbürger-
gesetzes, zum anderen Teil aber an seiner Handhabung durch Behörden,
die einseitig nur den Standpunkt vertraten, wer seine Entlassung genommen
habe, um seiner Wehrpflicht zu entgehen, dem solle das Bürgerrecht der
Heimat versagt bleiben.
Gewiß wird gerade in heutiger Zeit allgemein verständlich sein, daß
der aus der Staatsgemeinschaft ausgeschlossen sein müsse, der nicht bereit
sei, für das Land die Waffen zu tragen.
Mit diesem Grundsatz kann man aber nicht die staatsbürgerlichen Ver-
hältnisse der ehemaligen staatlosen Deutschen regeln. Man darf diesen
Staatlosen nicht zur Last legen, daß sie sich der Wehrpflicht entzogen hätten.
Mag auch in vielen Fällen ein Teil der Schuld dem einzelnen beizumessen
sein; daß in so zahlreichen Fällen Deutsche ihre Entlassung genommen haben,
liegt vielfach nur an der Ausgestaltung der Rechtsvorschriften und an ihrer
Handhabung durch die Behörden. Was der Staat zum großen Teil selbst
verschuldet hat, das soll er nicht den einzelnen Bürgern allein zur Last
legen, und gerade hier darf man auch nicht daran denken, die Kinder für
die Sünden ihrer Väter büßen zu lassen. Gerade die Behandlung der ehe-
maligen staatlosen Deutschen hat in der ganzen Welt dazu beigetragen, den