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kein anderes Ereignis in der Geschichte unseres Volkes bisher. Nimmt man
die Summe dessen, was im Laufe jener dreißig Jahre an Werten verloren
gegangen ist, so mag im Verhältnis die Summe vielleicht nicht kleiner sein
als der Kriegsschade der Gegenwart. Der Schade ist aber nicht so plötzlich,
scharf und allgemein aufgetreten wie heute. Auch waren die inneren Zu-
sammenhänge des Wirtschaftslebens noch gar nicht entwickelt. Der Krieg
wirkte im wesentlichen nur in dem Gebiet, das gerade Kriegsschauplatz war,
während heute die mittelbaren Schäden vielfach tiefer gehen als die Zer-
störungen, die wir auf den Kriegsschauplätzen selbst erleben.
Bereits zu den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges wurde in Deutsch-
land der Gedanke wach, ob denn nicht der einzelne Bürger des Staates
wegen seines Kriegsschadens Ersatz vom Staate selbst verlangen könne.
Das Denken der Rechtswissenschaft war damals noch ganz an römische
Rechtsgedanken gebunden. Kaiser Justinians Gesetzgebungswerk beherrschte
damals noch das Rechtsleben Deutschlands, und so ist es nicht zu ver-
wundern, daß man für die Frage des Kriegsschadenersatzes sich auch aus
den Pandekten Rat zu holen suchte. Man folgerte aus der LexRhodia
de jactu die Berechtigung, Kriegsschadenersatz zu verlangen. Der
Grundgedanke dieser römischen Gesetzesvorschrift war der: Wenn auf einem
Schiffe jemand zur Rettung aus gemeinsamer Seenot sein Eigentum durch
überbordwerfen geopfert hatte, so sollten alle, die solchem Opfer ihre Ret-
tung verdankten, anteilmäßig dem Geschädigten Ersatz leisten. Es läßt
sich nicht verkennen, daß der Grundgedanke dieser Vorschrift dafür sprechen
kann, in einzelnen Fällen Kriegsschadenersatzansprüche zu begründen. Man
wird aber doch einen allgemeinen Ersatzanspruch daraus nicht herleiten
können, und zwar schon deshalb nicht, weil bei dem größten Teil des Kriegs-
schadens der unmittelbare Zusammenhang zwischen Schaden des einzelnen
und Abwendung einer gemeinsamen Gefahr von der Gesamtheit fehlt. Bei
der römischen Vorschrift, die in unserem Seerecht auch beute noch gilt, ist
eben die unmittelbare Beziehung zwischen Opfer und Rettung gegeben. Bei
den meisten Fällen des Kriegsschadens fehlt sie.
Lber die grundsätzliche Frage, ob man aus dem Gedanken der Lex
Rhodia einen Anspruch auf Kriegsschadenersatz rechtlich entwickeln könne,
läßt sich nichts Besseres sagen, als was Ihering einst darüber geschrieben
hat. Er erörtert in einem Aufsatzt) über die Rückwirkung rechtlicher Tat-
sachen auf dritte Personen auch die Frage, inwieweit bei Kriegsschäden der
Grundsatz:
1) Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privat-
rechts, Bd. 10, S. 245 ff., insbesondere S. 331 ff.