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beklagt sich dort darüber, daß die Auslandsdeutschen so maßlose For-
derungen gestellt hätten. Als er erfahren habe, daß man etwa eine Mil-
liarde Mark verlangte, sei seine Teilnahme für diese Sache erschlafft. Offen-
bar hat die Wahrnehmung, daß der Krieg von einer Reihe Auslands-
deutscher zum Anlaß genommen war, übertriebene Forderungen an das
Reich zu stellen, die Teilnahme des Reichskanzlers für das Auslandsdeutsch-
tum damals stark beeinträchtigt, und dann war wohl auch von Bedeutung,
daß der aus agrarischen Verhältnissen stammende Staatsmann die Auswan-
derung von Arbeitskräften überhaupt als ungünstig betrachtete. Jedenfalls
hat man 1871 die aus Frankreich ausgewiesenen Auslandsdeutschen nur in
geringem Amfang entschädigt. Sie haben im ganzen etwa 12 Millionen
Mark erhalten.
Nach den im Reichstag von Migquel-) gemachten Angaben waren bei
den während des Krieges gebildeten Hilfsausschüssen von rund 30 000 Ver-
triebenen rund 26 Millionen Thaler Schäden angemeldet worden, davon in
Berlin allein 16 Millionen auf 20 000 Vertriebene.
Es ist von Bedeutung, gerade die persönliche Meinung Bismarcks
hier hervorzuheben, weil es doch leicht geschehen könnte, daß man bei der Be-
ratung der Fragen künftig Bismarcksche Worte zuungunsten der Auslands-
deutschen ins Feld führt — sicherlich nicht im Sinne dessen, der mit den
Grund für alle Erfolge dieser Zeit gelegt hat. Das Auslandsdeutschtum hat
heutzutage für das Deutsche Reich eine ganz andere Bedeutung als 1871.
Damals trat Deutschland erst in den Kreis der Weltmächte ein. Ebegann
wirtschaftlich, wie politisch seinen Einfluß über die ganze Welt bin geltend
zu machen. In den Jahrzehnten, die seither vergangen sind, hat sich unser
Interessenkreis unendlich vergrößert, und in dem Kreis dieser, die ganze
Welt umspannenden Interessen bildet das Auslandsdeutschtum Stützpunkte,
die für unsere Weltstellung unentbehrlich geworden sind. Darum müssen wir
dem Kriegsschaden der Auslandsdeutschen beute eine ganz andere Beach-
tung schenken, als man sie 1871 in der Mehrheit des Reichstages für nötig
befunden hat.
Abrigens hat es schon damals nicht an Stimmen gefehlt, die eine
größere Fürsorge für die Auslandsdeutschen verlangten, und offenbar waren
dies die Männer, die die Verhältnisse des Auslandes genauer kannten. Sie
sind aber der Mehrheit des Reichstages und dem Gewicht der Meinung
des Reichskanzlers gegenüber ohne Einfluß geblieben.
Die Frage der Kriegsentschädigung ist nicht Rechts-, sondern Macht-
frage. In gewissem Sinne aber kann man sie doch auch als eine Rechtsfrage
1) Sitzungsberichte 1 1. S. 1101.