Full text: Der Weltkrieg 1914. Band 1. (1)

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Kinder, nach vorheriger Marterung erschossen. Ebenso wurden im Dorfe 
Schillehnen im Kreise Pillkallen 10 Personen unter dem gleichen falschen 
Vorgeben niedergemacht. Im Dorfe Radßen haben die russischen Soldaten 
fast alle Gebäude angezündet, so daß im Augenblick fast das ganze Dorf in 
lammen aufging. Auf die unglücklichen Bewohner des Dorfes wurde mit 
ieb= und Schußwaffen losgegangen. Getötet wurden in diesem einen 
Dorfe 2 Männer und 8 Frauen, 3 Männer wurden verletzt. 
Aehnliche Vorfälle von Mord, Brand und Verwüstung werden aus 
zahlreichen Grenzorten gemeldet. Bei den Mordbrennereien gingen die 
Russen in der Weise vor, daß zunächst die Domänengehöfte als königliches 
Eigentum mit allen Vorräten niedergebrannt wurden. Dann wurden die 
Güter vorgenommen, und dann die Dörfer. Bis zum 18. August waren aus 
dem Gumbinner Bezirk 6 Domänen, aus dem Pillkaller Kreise allein über 
15 Dörfer und Güter niedergebrannt. Nach den vorliegenden Schilde- 
rungen sind die Russen bei diesen Mordbrennereien ganz systematisch vor- 
gegangen. Den Truppen zogen mit Zündmaterial ausgerüstete Brand- 
kommandos voran, welche die Häuser mit petroleumgetränkten Schwämmen 
und Brandraketen anzündeten. Gewöhnlich wurden die Bewohner zuvor 
aufgefordert, die Häuser zu verlassen. Manche Kommandanten ließen ge- 
legentlich die Wohnhäuser stehen und beschränkten sich auf das Abbrennen 
der Ställe und Scheunen. Die Verheerung der Dörfer wurde häufig unter 
dem Vorwand vorgenommen, daß aus ihnen geschossen worden sei. In 
Wirklichkeit ist dies niemals der Fall gewesen. 
Die in den westlichen Gouvernements garnisonierenden russischen 
Truppen, besonders das Gardekorps, scheinen im großen und ganzen die 
Grundsätze des Völkerrechts eher beobachtet zu haben. Gelegentlich 
warnten solche Truppenführer, die bei flüchtigen Streifereien im Lande 
eine ihren Wünschen entsprechende Aufnahme gefunden hatten, Pfarrer 
und Gutsbesitzer vor der rohen und grausamen Gesinnung ihrer eigenen 
später eintreffenden Kameraden. 
Das „Mißverständnis“ Mister Greys. 
Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ Nr. 213 vom 6. September 
1914 schreibt: 
Nach hier vorliegenden Nachrichten hat Sir E. Grey im Unterhaus 
erklärt, die von der deutschen Regierung veranlaßte Veröffentlichung des 
deutsch-englischen Telegrammwechsels vor dem Kriege sei unvollständig. 
Fürst Lichnowsky habe seine Meldung über das bekannte Telephongespräch 
gleich darauf telegraphisch zurückgezogen, nachdem er darüber aufgeklärt 
worden sei, daß ein Mißverständnis vorliege. Dieses Telegramm sei nicht 
veröffentlicht worden. Die „Times“ hat, anscheinend auf Grund von In- 
formationen von amtlicher Seite, dieselbe Behauptung aufgestellt und 
daran die Bemerkung geknüpft, das Telegramm sei von der deutschen Re- 
gierung unterdrückt worden. um England der Perfidie beschuldigen und 
Deutschlands Friedensliebe beweisen zu können. 
Wir stellen demgegenüber fest, daß ein solches Telegramm nicht 
existiert. Fürst Lichnowsky hat außer dem bereits veröffentlichten Tele- 
gramm, das um 11 Uhr vormittags aus London abgegangen war, am 
1. August noch folgende Telegramme abgesandt: 
Erstens um 1 Uhr 15 nachmittags: 
„.. Der Privatsekretär Sir E. Greys war eben bei mir, um mir
	        
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