Full text: Der Weltkrieg 1914. Band 1. (1)

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pierenden Kreise genossen haben. Ich würde es daher für eine Anmaßung 
meinerseits halten, wollte ich es unternehmen, Sie mit falscher Information 
zu versehen. , 
Auch gebe ich Ihnen wahrscheinlich keine unerwartete Kunde, wenn 
ich Ihnen mitteile, daß England zurzeit die in Deutschland verhaßteste 
Nation ist. Und dies bis zu einem solchen Grade, daß viele zu vergessen 
scheinen, daß der verruchte Krieg, der um uns rast, seinen eigentlichen Ur- 
sprung aus panslawistischer und russischer Herausforderung herleitet. 
Aber, das Volk dieses Landes ist nun einmal von der unauslöschlichen 
und instinktiven Ueberzeugung erfaßt, daß England sowohl Rußland als 
Frankreich seit Jahren angestachelt habe, daß England sich von Motiven der 
Eifersucht und des Neides leiten lasse und daß sein Hauptzweck, indem es 
uns den Krieg erklärt habe, unsere Vernichtung sei, sogar wenn dieselbe 
nur unter Einsetzung einer. Kosakenherrschaft in Zentral-Europa zu er- 
reichen sein sollte. 
Während nun im Volke in solcher Weise argumentiert wird, sind die 
höher gebildeten Kreise der Ueberzeugung, daß nicht nur die Verletzung der 
belgischen Neutralität durch Frankreich in England kein Gefühl der Erbit- 
terung ausgelöst haben würde, sondern daß — Belgien beiseite gelassen — 
die Neutralität von Groß-Britannien selbst unter keinen Umständen 
während des Verlaufes des Krieges aufrecht erhalten worden wäre. 
Sie werfen Sir Edward Grey vor, in seinen letzten offiziellen Mittei- 
lungen kein Wort mehr von der schauderhaften Mordtat von Serajewo 
oder von der russischen Mobilisierung erwähnt zu haben, welch letztere uns 
einfach zum Kriege gezwungen hat, wollten wir nicht mit offenen Augen 
in unser Verderben rennen. 
Diese gebildeten Kreise sind endlich der Meinung, daß nur das kriege- 
rische Eingreifen Ihrer Regierung dem Kampf einen wirklich europäischen 
Charakter verliehen habe, während wir auf unserer Seite seit Jahren ge- 
zwungen waren, die Eventualität des Zusammenstehens mit Oesterreich- 
Ungarn im Kampfe mit Rußland und Frankreich ins Auge zu fassen. 
Ich glaube Ihnen garantieren zu können, daß dies in wenigen Worten 
die Gefühle der deutschen Nation widergibt, welche geeinigt steht wie ein 
Mann, zu den schwersten Opfern bereit, die zugleich von Schmerz und 
innerer Empörung darüber bewegt ist, daß sie sich von denen verraten sieht, 
die sie, in einem gewissen Sinne wenigstens, leider wie ihr eigenes Fleisch 
und Blut anzusehen pflegte. Denn, was immer unsere gelegentlichen Diffe- 
renzen gewesen sein mögen, die Mehrzahl der Deutschen hat sich England 
nie uals Rußlands Genossen und Japans Spießgesellen in solcher Uebeltat 
vorzustellen vermocht. 
Was die Engländer getan haben, werden sie mit ihrem eigenen Ge- 
wissen oder mit dem zu vereinbaren haben, was ihre gegenwärtigen Staats- 
männer in zynischer Weise als ihre „Interessen“ bezeichnen. Interessen, 
welche jedenfalls plötzlich in totalen Gegensatz zu den politischen Traditio- 
nen Ihres Landes geraten sind. Während andererseits, wenn alle Bande 
gemeinsamer Kultur, Geschichte und Zivilisation Enwägungen momentanen 
Vorteils geopfert werden sollen, das internationale Leben Europas zu einer 
Monstrosität verkehrt werden wird. 
Ichmöäöchte die Schatten Lord Salisburys und Disraelis sprechen hören. 
Ihr ergebener Lenden. 
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