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Sassonow an Botschafter Krupensky in Rom.
Petersburg, 26. Juli.
Italien könnte eine erste Rolle in dem Versuch, den Frieden zu
wahren, spielen, wenn es sich entschließen könnte, den nötigen Druck
auf Oesterreich auszuüben und wenn es eine glatte negative Stellung
in dem Konflikt nehmen würde, da dieser nicht lokalisiert bleiben kann.
Es wäre wünschenswert, daß Sie die Ueberzeugung ausdrücken, daß es
für Rußland unmöglich ist, nicht für Serbien zu intervenieren.
Sassonow an den russischen Botschafter in Wien.
Petersburg, 26. Juli.
Ich hatte heute eine freundschaftliche Unterredung mit dem öster-
reichischen Botschafter. Wir haben die zehn an Serbien formulierten
Forderungen geprüft und ich machte ihn darauf aufmerksam, daß, außer
der unmöglichen Form, einige dieser Forderungen keineswegs erfüllt
werden könnten, selbst wenn die serbische Regierung bereit wäre, sie
anzunehmen. So können z. B. die Punkte 1 und 2 nicht erfüllt werden
ohne eine vorherige Aenderung des serbischen Preßgesetzes und des Ver-
einsgesetzes. Die Skupschtina würde nur schwer ihre Einwilligung dazu
geben. Die Erfüllung der Punkte 4 und 5 könnte äußerst gefährliche
Konsequenzen haben und zu territorialen Akten gegen die Mitglieder
des Königshauses und gegen Pasitsch führen, was sicher nicht die Absicht
Oesterreichs ist. Was die anderen Punkte anbelangt, so glaube ich, daß
mit einigen Modifikationen eine Verständigung nicht allzu schwer wäre,
wenn man die angeführten Ursachen durch genügende Beweise stützt. Im
Interesse des Friedens, der, wie Graf Szapary sagt, für Oesterreich
ebenso teuer wie für die anderen Mächte ist, wäre es notwendig, der
jetzigen gespannten Lage ein Ende zu machen. Zu diesem Zwecke wäre
es mir lieb, daß der österreichische Botschafter die Ermächtigung erhält,
in einen besonderen Gedankenaustausch mit mir einzutreten, um ge-
meinsam die neue Formulierung einiger Artikel aus der österreichischen
Note vom 10. Juli auszuarbeiten. Vielleicht, daß man auf diese Weise
eine Formel finden würde, die zu gleicher Zeit Oesterreich eine Genug-
tuung gibt und auch von Serbien akzeptiert werden kann. Sprechen
Sie im Sinne dieser Depesche mit dem Minister des Auswärtigen. Es
handelt sich darum, eine freundschaftliche Form zu finden. Diese De-
pesche wird auch an die Botschafter in Deutschland, Frankreich, England
und Italien mitgeteilt.
Sassonow an die russischen Botschafter in London und Paris.
Petersburg, 27. Juli.
Der englische Botschafter hat sich heute erkundigt, ob wir es für
nützlich erachten, daß England die Initiative der Einberufung einer
Konferenz der Vertreter Englands, Frankreichs, Deutschlands und Ita-
liens nimmt, um einen Ausweg aus der heutigen Lage zu finden. Ich
antwortete dem Botschafter, daß ich mit dem Botschafter Oesterreichs
Verhandlungen eingeleitet habe, meines Erachtens unter günstigen Be-
dingungen. Jedoch habe ich die Antwort auf meinen Vorschlag der Re-
vision der österreichischen Note zwischen den zwei Kabinetten noch nicht
erhalten. Wenn die direkten Verhandlungen mit Wien ungünstig ver-