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bestimmteste, daß es die Franzosen waren, die auf dem Rückzug alles
plünderten und raubten, was sie erwischen konnten, und alles kaput
schlugen, was sie kaput schlagen konnten. Ich betone, das sagte mir
eine Belgierin, die allerdings auch zu gleicher Zeit eine Sozialistin war.
Die Schilderung dieser Belgierin löste bei mir als gutem deutschen Sozia-
listen Verwunderung aus, ich hatte die Franzosen höher eingeschätzt,
bekam aber einen tiefen Abscheu, als ich sah, wie sie gehaust hatten.
Und je weiter wir nun ins Land kamen, bis tief in das Frankreich
hinein, überall dasselbe Bild, überall grauenvolle Verwüstung, hun-
gernde Frauen und Kinder, verzweifelte alte Leute, die erzählten, daß
es ihre eigenen Landsleute waren, die ihre Wohnungen und alles ver-
nichteten. Mir ist während des ganzen Marsches nur ein Fall bekannt
geworden, wo sich ein betrunkener deutscher Landwehrmann zu einer
Demolierung hinreißen ließ; von seinen übrigen Kameraden wurde er
sofort der Wache übergeben und verhaftet. Unsere Soldaten duldeten
nicht, daß geplündert wurde, sie teilten ihre eigenen Rationen mit den
hungernden Frauen und Kindern. In Tanny traf ich eine Familie,
Frau mit sechs Kindern, das siebente war auf dem Wege, die Familie
war halb verhungert; sofort erhielt sie, nachdem ich dem Feldwebel
davon Mitteilung gemacht hatte, von uns Brot, Reis, Salz, Kaffee und
Fleisch von einem Ochsen, den wir geschlachtet hatten. Der-Mann
dieser Familie stand als Artillerielandwehrmann im Felde und schoß
vielleicht in demselben Moment, wo die deutschen Soldaten seine Kinder
und Frau verproviantierten, sein Geschütz gegen deutsche Soldaten ab.
Das hinderte uns nicht, Mensch zu sein gegen die Unschuldigen, die unter
diesem Zustand leiden mußten, und so wie wir dieser Frau gegenüber
verfahren find, so haben wir allen, die ohne Nahrung herumirrten, ge-
holfen, wir gaben unsere eigene Kost hin und teilten den letzten Bissen
mit allen Einwohnern, die sich ruhig und anständig gegen uns benah-
men. Mit Empörung habe ich deshalb die Nachrichten französischer Zei-
tungen gelesen, die uns deutsche Soldaten als Mordbrenner hinstellten.
Die französischen Ausrüstungsgegenstände, die in den verwüsteten Woh-
nungen herumliegen, legen Zeugnis davon ab, daß diese Wohnungen
von den Franzosen verwüstet wurden. Mögen kleinere Ausschreitungen
einzelner Deutscher ebenfalls zu verzeichnen sein, ich will es nicht bestrei-
ten, so aber steht fest, daß diese Ausschreitungen sofort mit harten Stra-
fen gegen diese Soldaten belegt wurden. Dort allerdings, wo nachts
auf unsere Truppen geschossen wurde, oder wie es in Rouchort durch
einen Bauern geschehen ist, der einen Kameraden erstochen hat, wurde
mit unnachsichtlicher Strenge verfahren. Ich glaube nicht alle Märchen,
die erzählt werden über Greueltaten, die von der Bevölkerung verübt
worden sein sollen; aber einen Fall kenne ich persönlich: Ein Bauer
hat nachts einen deutschen Soldaten heimtückisch erstochen; ich selbst
habe diesen Bauer mit gefangen und der Wache übergeben.
Genau so, wie wir ritterlich gegen die Bevölkerung waren, genau
so ritterlich waren wir gegen die verwundeten französischen Soldaten
und gegen die Gefangenen. Auch mit ihnen teilten wir den letzten
Bissen Brot, schenkten ihnen die letzte Zigarette und halfen denen, die
nicht laufen konnten, auf die Wagen usw.
(Tägl. Rundsch., 4. Oktober.)