Full text: Ereignisse und Gestalten 1878-1918

Versailles ein so einsichtiges, weltbeglückendes, tadelloses Instrument 
wäre, dann brauchte man sich nicht fortwährend zu neuen Konfe- 
renzen, Aussprachen, Zusammenkünften über dieses „wunderbare“ 
Instrument zusammenzufinden. Die Notwendigkeist immer neuer 
Interpretationen liegt eben darin, daß die Bedürfnisse des Lebens 
hochkultivierter und zivilisterter Nationen bei der Redaktion des 
Friedens außer Acht gelassen wurden. 
Man soll indessen nicht pharlsäisch sein: bis zu einem gewissen 
Grade ist nach einem Weltringen um Leben und Tod die Uber- 
spannung der Bedingungen durch den obsiegenden Teil eine nakür- 
liche Folge des befreienden Gefühls, der Todesgefahr entronnen zu 
sein. Ich welß trotzdem, daß Deutschland im Falle eines für uns 
glücklichen Kriegsausganges ganz andere, d. h. billige und erträgliche 
Bedingungen gestellt hätte. Die Friedensschlüsse von Brest und 
Bukarest — übrigens gar nicht mit dem von Bersailles vergleich- 
bar — können nicht gegen uns herangezogen werden. Sie wurden 
mitten im Kriege abgeschlossen und mußten uns Bedingungen ein- 
räumen, die und bis zum Schlusse des Krieges sicherten. In einem 
allgemeinen Frieden hätte der Ostfriede ganz anders ausgesehen. 
Er wäre bei einem für uns glücklich beendeten Kriege von uns selbst 
revidfert worden. Damals, als er geschlossen wurde, war es not- 
wendig, die milttärischen Erfordernisse voranzustellen. 
Aber die Aufklärung über den Fehlspruch von Versailles ist auf 
dem Marsche, und die Bedürfnisse des heutigen Bölkerlebens werden 
für die Steger und für die Unterlegenen ihre gebteterische Sprache 
sprechen. 
Den Jahren schwerster Prüfung wird die Befrefkung von einem 
Joch folgen, das einem großen, starken, ehrlichen Bolke zu Unrecht 
aufgezwungen worden ist. Dann wird wieder seder froh und stolz 
sein, daß er ein Deurtscher ist. 
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