Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

Von dem Kränzchen, das ich mit meinen Mitschülern bildete, 
berichtete schon mein Curriculum vitae. In diesem Kreise, der Sonn- 
tags nachmittags sich zusammenfand, wurden nicht nur Klassiker mit 
verteilten Rollen gelesen, sondern auch Vorträge gehalten (ich sprach 
einmal üÜber den Zug Alexanders des Großen nach Indien) und De- 
batten geübt. Zu diesem Zweck mußte ein jeder von uns einen der 
bekannten Politiker darstellen, die damals eine Rolle spielten, so war 
z. B. der kleine diskutterlustige Sommer: Lasker. Für mich war 
es nicht so einfach, ein geeignetes Vorbild zu finden, und es bedurfte 
erst langer Beratungen; schließlich einigten wir uns auf Schulze- 
Delltzsch, den damaligen Vührer der Fortschrittspartei. Diese De- 
batten wurden sehr ernsthaft behandelt und sogar aufgezeichnet,- 
Brauneck war Protokollführer. (Außerdem war dieser auch ein großer 
Briefmarkensammler, und ich habe ihm, als meine eigene Leiden- 
schaft für diesen Sport erloschen war, meine selbst zusammengebrachte 
Sammlung vermacht.) 
Theaterbesuche bedeuteten nach wie vor für mich Festtage. Kassel 
besaß eine verhältnismäßig gute Oper, und in dem Dirigenten Reis 
einen tüchtigen Kapellmekster. Das Schauspiel stand nicht auf gleicher 
Höhe, doch sah ich mit viel Interesse die Werke von Shakespeare, 
Schiller, Uhland u. a. Als besonders eindrucksvoll ist mir eine 
Vorstellung von Uhlands „Ludwig der Baier“ in Erinnerung. Unter 
den Schauspielern erfreute sich Barena, der nachher Theaterdirektor 
in Stettin oder Königsberg wurde, großer Beliebtheit bei der 
Jugend, sein Graf Wetter vom Strahl riß alle zur Begeisterung 
hin. Recht gut gesiel uns die Schauspielerin Harke, auch die schöne 
Hagen, die sich spckter mit einem Fürsten Wittgenstein-Altenkirchen 
verheiratete. Ein großes Talent war der funge Herberk, auf den 
ich Hülsen aufmerksam machte, leider blieb er nicht im preußischen 
Dienste. 
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