Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Erster Band. Der Weg zur Revolution 1914-1918. (1)

Die deutschen Leninisten 93 
Im „Vorwärts“ stellte dafür ein russischer Mitarbeiter fest, daß 
Lenin Kautsky unzählige Male einen Lalaien, Philister, Sophisten, Heuch- 
ler und Betrüger genannt habe, und daß für ihn die alte und die neue 
Partei beide gleichermaßen als Ubel gälten. 
Wie erwähnt, waren die Verhandlungen in Brest bis zum 4. Ja- 
nuar vertagt worden. Am 2. Januar ging in Berlin der russische Vor- 
schlag ein, sie in Stockholm fortzusetzen gleichzeitig mit der kategorischen 
Ablehnung der deutschen Vorschläge für die Regelung der sogenannten 
Randstaatenfrage.1) Graf Hertling erwiderte sofort, daß die Vierbund- 
mächte nur in Bresi-Litowosk weiter verhandeln würden. Schon am 
5. Jannar gaben die Russen hierin zwar nach. Dafür ließen sich mit 
hoher Wahrscheinlichkeit schwere diplomatische Kämpfe bei den Ver- 
handlungen selbst voraussehen. 
In jedem anderen Lande wäre es selbstverständlich gewesen, daß 
das siegreiche Volk sich hinter seine Regierung gestellt hätte, zumal, 
wenn sie dem Feinde so weites Entgegenkommen zeigte, wie die deutsche: 
bei unc traten die sozialdemokratische Mehrheitspresse und Reichstags- 
fraktion sofort in schärfste Kritik der deutschen Vorschläge ein. Gewiß 
war bei den Massen ein elementares Friedensbedürfnis vorhanden, die 
Ernährungsnot hatte die Nerven geschwächt, und der Wortradikalismus 
das Ubrige zur Verbitterung des Volkes beigetragen: Jetzt aber galt 
es, auf dem Verhandlungswege von rücksichtolosen, entschlossenen, zu- 
dem über rabulistische Dialektik verfügenden Gegnern einen Frieden zu 
erreichen, der die gebrachten Opfer lohnen sollte, und in diesem ungleichen 
Kampfe bedurfte die deutsche Diplomatie dringend der Rückenstärkung 
durch einen geschlossenen Volkswillen. Auch diesmal blieb der Sozial- 
demokratie diese klare Einsicht verborgen; der Gedanke der internatio- 
nalen Solidarität mit den „befreiten“ Brüdern verhinderte sie an 
nüchterner, vorurteilsloser Beurteilung von Dingen der großen Politik. — 
Sofort wurde unter den üblichen versteckten Drohungen der Vor- 
wurf des Annexionismus erhoben. Der sonst sehr maßvolle und vater- 
ländisch gesonnene Bauarbeiterführer Winnig äußerte am 6. Januar in 
einer Versammlung in Altona, wenn das Kaiserwort „Uns treibt nicht 
Eroberungslust“, das einst im Volke freudigen Widerhall gefunden 
habe, nicht mehr wahr sein solle, so müsse dies eine Erschütterung der 
») Näheres darüber s. Helfferich, Weltkrieg, III. Bd., S. 264ff.
	        
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