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Kriegsausbruch und Sozialdemokratie — Unterlassungssünden
der Regierung
Die Toten sind nicht zu beklagen,
sondern ihre Freunde, die sie überleben.
Friedrich der Große.
Am 4. August 1914 eröffnete S. M. der Kaiser den Reichstag
im Weißen Saale des Berliner Schlosses mit einer Thronrede, die in
den geschichtlich gewordenen Worten gipfelte: „Uns treibt nicht Er-
oberungslust; uns beseelt der unbeugsame Wille, den Platz zu be-
wahren, auf den Gott uns gestellt hat, für uns und für alle kommen-
den Geschlechter.“ Die Anwesenden aller bürgerlichen Parteien — die
Sozialdemokraten vermieden auch diesmal das Betreten des Königs-
schlosses — gelobten dem Kaiser darauf mit Handschlag, daß der
Reichstag mit ihm in Not und Tod zusammengehen würde. In der
am Nachmittag folgenden Vollsitzung des Reichstages wurden im Ver-
laufe einer Stunde 17 auf den Krieg bezügliche Vorlagen der ver-
bündeten Regierungen, darunter eine Kriegsanleihe von 5 Milliarden
Mark, debattelos angenommen. Als einziger Redner erklärte der
Abg. Haase (Soz.), daß seine Freunde zwar nach wie vor Gegner
einer imperialistischen Politik seien, jetzt aber, da es sich nicht mehr
darum handele, für oder gegen den Krieg zu stimmen, das Vaterland
nicht verlassen wollten und die geforderten Kredite bewilligen würden.
Ihre heißen Wünsche gälten allen zu den Fahnen gerufenen Brüdern,
ohne Unterschied der Partei! Und als der Reichskanzler am
Schlusse dieser Sitzung die Worte fand: „Nicht das Gewicht Ihrer
Beschlüsse gibt dieser Tagung ihre Bedeutung, sondern der Geist, aus
dem heraus sie geboren sind, der Geist der Einheit Deutschlands, des
unbedingten, rückhaltlosen, gegenseitigen Vertrauens auf Leben und
Tod“, da konnte er sicher sein, aus dem Herzen aller Deutschen zu
sprechen, die, angesichts der furchtbaren, jeden Volksgenossen in gleicher
Weise bedrohenden Gefahr, in diesem Augenblicke mit freudigem Stolze
Wrlsberg.“ 1