Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Erster Band. Der Weg zur Revolution 1914-1918. (1)

Herrn Joffes Residen? 119 
In Deutschland wurde der Kriegsminister wegen eines vielleicht 
unglücklich gefaßten Erlasses, der die ausgedehnte Tätigkeit einer Frie- 
densgesellschaft einschränken sollte, heftig angegriffen. Bei der Entente 
wurde zu derselben Zeit mit harten Gefängnisstrafen vorgegangen, ohne 
daß es zu irgendwelchen Erörterungen in den feindlichen Parlamenten 
gekommen wäre. Die Entente wußte sehr wohl, weshalb sie so scharf 
eine den Kriegswert der Nation herabsetzende Propaganda unterdrückte; 
in Deutschland war man blind gegen diese Gefahren, und man ließ 
sich auch nicht überzeugen. Die Herren wußten es eben besser. Die 
„Verzichtfriedensmehrheit“ des Reichstages blieb sich auch hierin kon= 
sequent. 
Dies freilich war nicht die Stimmung, aus der heraus uns der 
Endsieg erwachsen konnte. 
Am 31. Mai, am Tage, nachdem unsere Truppen bei Fere-en- 
Tardenoio die Marne erreicht hatten, bekannte sich der Parteiausschuß 
der Mehrheitssozialdemobratie nach zwei Reden Eberts und Scheidemanns 
erneut zum Verständigungsfrieden auf der Grundlage der Entschließung 
vom 19. Juli 1917. 
Die Unabhängigen aber gingen unter Billigung der eigensinnig an 
die russische „Loyalität“ glaubenden Regierung dauernd in der russischen 
Botschaft Unter den Linden aus und ein, wo als Vertreter der „Nussi- 
schen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik“ Herr Joffe resi- 
dierte. — 
Im Westen hatte auch der Vorstoß zur Marne nicht den Erfolg 
gebracht, den Feindbund friedensbereit zu machen. Das Einsetzen von 
Gegenangriffen bewies vielmehr seinen noch ungebrochenen Kampfes- 
willen. 
Nunmehr begann eine „Friedensoffensioe“ unserer Diplomatie. 
Am 24. Juni hielt der Staatssekretär des Auswärtigen, v. Kühlmann, 
im Reichstage eine Rede, die — im strikten Gegensatze zu ihm erteilten 
Weisungen des Reichskanzlers — den Eindruck hinterließ, „daß troßz 
der glänzenden Erfolge unserer Offensive ein Ende des Krieges nicht 
abzusehen sei, daß rein militärisch der Krieg überhaupt nicht zu Ende 
geführt werden könne, daß hierzu vielmehr diplomatische Verhandlungen 
notwendig seien, zu denen aber auf der anderen Seite bisher noch 
keinerlei Geneigtheit sich zeige. Ein Bekenntnis von vollständiger Trost- 
losigkeit und Resignation ohne die leiseste Andeutung, was die deutsche
	        
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