Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Erster Band. Der Weg zur Revolution 1914-1918. (1)

4 Erstes Kapitel 
Zeit vor allem darauf ankomme, die sozialistischen Ideen und den Be- 
stand der Partei zu sichern. Durch die nationale Strömung in den 
Massen sichtlich beunruhigt, suchte sie eine Auseinandersetzung über 
diese Fragen mit allen Mitteln hinauszuschieben, indem sie Neben- 
fragen wirtschaftlicher Art, wie die der Arbeitslosenfürsorge, der Miets- 
beihilfen u. a. m., in denen sie bedingungslos und unbeirrt durch Billig- 
keitsrücksichten für die Minderbemittelten Partei nahm, in den Vorder- 
grund rückte. 
Demgegenüber geschah im bürgerlichen Lager alles, um die neue 
Einigkeit des Volkes zu betätigen: Der Reichsverein gegen die Sogzial= 
demokratie, der evangelische Bund, der Ostmarkenverein stellten ihre 
Kampftätigkeit ein; auch der Antisemitismus verstummte. Der „deutsche 
Wehrverein“ erklärte in einem Rundschreiben an die Presse, daß es 
gälte, die Heranziehung der Tüchtigsten aus allen Volks- 
kreisen zu der inneren und äußeren Verwaltung herbeizuführen 
(sollte Bethmann aus dieser Quelle sein bekanntes Schlagwort ge- 
schöpft haben?), echten Gemeinsinn und aufrechte vaterländische Ge- 
sinnung zu pflegen. 
Alsbald begann die sozialdemokratische Parteileitung aus diesem 
Entgegenkommen des Bürgertums Kapital zu schlagen. Auf ihre „Ver- 
dienste“ pochend, suchte sie der Regierung immer neue Zugeständnisse — 
Zulassung bisher verbotener Vereinstätigkeit, Anerkennung der „frei- 
gewerkschaftlichen“ Organisationen als Vertretung der gesamten Arbeiter= 
schaft, Bestätigung von Genossen in obrigkeitlichen Stellungen — abzu- 
ringen und damit eine der bisher mit Erfolg gegen sie verteidigten 
Machtstellungen nach der anderen zu erobern, um sie zu verstärkten 
Angriffen gegen dieselbe Staatsgewalt auszunutzen, wenn die Stimmung 
der Massen es wieder gestatten sollte, das wahre, unveränderte Ge- 
sicht zu zeigen. 
Eo mußte zu denken geben, daß die Leitung der Berliner Sozial= 
demokratie eine Beteiligung der Berliner Jugend an der militärischer- 
seits veranstalteten Jugendausbildung ablehnte und zu verhindern 
wußte. — " 
Wenn jemals, so lag es in diesen ersten Kriegsmonaten in der 
Hand der Staatsregierung, ob sie der Sozialdemokratie diese rettende 
Verschleierungstaktik gestatten, oder ob sie den augenblicklichen Gegen- 
satz zwischen dem Fühlen der Masse und den Absichten der Führer —
	        
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