Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dez. 3.) 131
Gesetzes ist in Bezug auf sie aufgehoben. Es sind nur noch 27 geblieben,
verschollene Geistliche, für die niemand das Wort ergriffen hat, die aber
wahrscheinlich auch der Wohlthat der Repatriierung teilhaftig geworden
wären, wenn sie darum nachgesucht hätten, oder wenn die Bischöfe der be-
treffenden Herren dies gewünscht hätten. Ob die 27 Herren noch leben, das
wissen wir nicht; es mögen zum Teil alte Leute gewesen sein, die gestorben
sind, sie haben vielleicht auch in anderen, angenehmeren Stellungen im Aus-
lande Unterkommen gefunden oder in anderen geistlichen oder weltlichen Ver
hältnissen, — aber die Regierung weiß nichts davon. Es ist also das Gesetz
von den beiden letzten preußischen Kultusministerien, mit einer großen Zurück-
haltung gegen das ganze System, absolut nicht zur Anwendung gebracht
worden, kein einziger Fall liegt vor, — und nun kommen Sie mit einer
Sturmpetition gegen den Bundesrat: er soll dieses Gesetz außer Kraft setzen.
Ich würde übrigens, wie in vielem anderen, zn Konzessionen gar nicht ab-
geneigt sein, wenn mir die Bemühungen geglückt wären, in unserer Gesetz-
gebung eine Scheidelinie zwischen jenen Landesteilen einzuführen, welche
polnische Zunge reden, und denen, welche deutsche Zunge reden. Nach meiner
Überzeugung kann dieses Gesetz im ganzen, soweit die deutsche Zunge reicht,
einfach zurückgenommen werden, — ich würde nichts dagegen haben. In
den polnischen Bezirken liegt die Frage aber doch etwas anders. Ob da
dies Gesetz nicht noch einmal Anwendung finden kann, das weiß ich nicht,
das hängt von der Zukunft ab. Die polnische Bewegung hat uns mit der
Losreißung von preußischen man kann jetzt schon sagen altpreußischen —
Provinzen, ehe sie polnisch wurden, wie Westpreußen, bedroht. Diese Be-
wegung ist nicht so sehr gefährlich zu einer Zeit, wo der Friede ringsum
vollständig gesichert ist. Wenn das aufhört - woran ich nicht glaube, so-
lange die jetzige Regierung an Haupt und Gliedern am Ruder ist — aber
sie ist nicht unsterblich, und die Politik ist auch genötigt, auf weitere Zeit-
räume hinzublicken —. so könnten doch Momente eintreten, wo eine polnisch-
nationale Bewegung für den preußischen Staat sehr unbequem werden kann.
Ich bin sehr weit entfernt, vielleicht weiter, als Sie glauben, von der Nei-
gung, dem Zentrum entgegenzutreten. Man kann mit ihm rechnen; es hat
für mich nur die Gefahr: man kann sich mit ihm nicht einlassen, ohne sich
dem Geist, der in ihm lebt, mit Leib und Seele zu verschreiben.
Wenn man — nicht mit dem Papst, sondern mit einer dauernden inländi-
schen Vertretung des Katholizismus ein „bis hierher und nicht weiter“ ab-
schliesßen könnte, gewissermaßen ein der preußischen Gesetzgebung unterworfen
bleibendes Konkordat, das nicht überschritten werden soll, — ja, davon ließe
sich reden; aber vorläufig sind wir von einer solchen Möglichkeit ziemlich
weit entfernt. Ich sehe auch gar nicht die Möglichteit einer praktischen Aus-
führung der Sache; aber es würde mir außerordentlich lieb sein, nicht für
meine persönliche Bequemlichkeit, sondern im Interesse des Landes, wenn
ich einen modus vivendi mit dem Zentrum wüßte, ohne mich
und den Staat ihm mit Haut und Haar zu eigen zu geben. Die
Befürchtung, daß der Kampf immer wieder erneuert werden wird, auch nach
jeder Konzession, daß die Konzession nur ein Ausgangspunkt für neue For-
derungen sein würde von seiten des Zentrums, hat niemand eifriger und
bedrohlicher genährt, als der absolute Leiter des Zentrums, der Abg. Windt-
horst. Er hat uns, wie Sie sich erinnern werden, in Aussicht gestellt, daß
es mit diesem jetzigen Kampf nicht vorbei sein werde; es würden andere von
noch viel größerer Tragweite kommen; nur die Schule wollte er beispiels-
weise nennen, — also tief eingreifend in unsere bürgerlichen Verhältnisse; —
ich weiß nicht, was noch. Ich fürchte nur, es würde mit diesem Streben
ein Frieden nicht möglich sein, solange nicht alles in Deutsch-
9*