Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Erster Band. Der Weg zur Revolution 1914-1918. (1)

20 Zweites Kapitel 
der Karlsruher „Volksfreund“ ein, während die „Chemnitzer Volks- 
stimme“ für Absplitterung der „Anarchosozialisten“ à la Lebknecht, 
aber Zusammenbleiben von Ledebour bis Heine plädierte. Zwischen 
Mehrheits= und Minderheitsf ührern hatte die persönliche Entfrem- 
dung allmählich einen kaum mehr zu steigernden Grad von Erbitterung 
hervorgerufen. In der Minderheit selbst herrschte keineswegs Einigkeit. 
„Spartakus“, ein Deckname, unter dem Liebknecht oder höchstens Rühle 
vermutet werden konnte, zerpflückte in dem zweiten seiner „Politischen 
Briefe“ achtzehn von den zwanzig Kreditverweigerern, indem er 
schonungslos ihre innere Schwäche und Scheu vor den letzten Folge- 
rungen enthüllte. Weder Liebknecht noch Rühle hatten sich der neuen 
Partei angeschlossen. Sie standen noch weiter links und erstrebten, unter 
Ablehnung einer nationalen Sozialdemokratie, eine internationale Par- 
tei, deren Landessektionen nur Organe „der internationalen Spitze“ 
sein sollten. 
Mitte März hatte die Liebknecht-Gruppe in einer mitteldeutschen 
Stadt eine Vertreterkonferenz veranstaltet. An ihr nahmen Anhänger 
teil aus Leipzig, Dresden, Pirna, Chemnitz, Jena, Gera, Braunschweig, 
Halle, Hannover, Essen, Duisburg, Stuttgart, Göppingen. Man konnte 
also schon von einer sich über das ganze Reich erstreckenden Organi- 
sation sprechen. 
Auch die Gewerkschaften hatten sich eifrig mit der Spaltungs- 
frage befaßt. Die Verstimmung über die Schwäche der Fraktionsmehr-= 
heit gegenüber den 20 Disziplinverächtern hatte hier dahin geführt, 
daß bei den führenden Gewerkschaftern anscheinend allen Ernstes der 
Gedanke erwogen wurde, notfalls eine eigene, reine Arbeiterpartei auf 
gewerkschaftlicher Grundlage mit sozialpolitischen und sozialistischen 
Zielen und zum Zwecke konsequenter Fortsetzung der Politik des 4. August 
ins Leben zu rufen. 1) Wenn ein solches Vorgehen natürlich auch nur 
als letzter Ausweg anzusehen war, so bildete die Tatsache allein, daß 
es erwogen wurde, einen Beweis für die Schwere der Parteikrise. 
Die Regierung kam den Gewerkschaften durch Einbringung einer Novelle 
zum Reichsvereinsgesetz entgegen, die ihnen in sofern größere Be- 
1) So schrieb der „Grundstein“ (Organ der Bauarbeiter) am 18. 3. 1916, „in 
den Gewerkschaften komme der Arbeiterwille viel reiner zum Auedruck als in der 
Partei. Am wenigsten aber dürften sich die Arbeiter den Liebknecht, Pannekoek, 
Radek anvertrauen, die für die Gewerkschaftsarbeit niemals etwas übrig gchabt 
bätten“.
	        
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