20 Zweites Kapitel
der Karlsruher „Volksfreund“ ein, während die „Chemnitzer Volks-
stimme“ für Absplitterung der „Anarchosozialisten“ à la Lebknecht,
aber Zusammenbleiben von Ledebour bis Heine plädierte. Zwischen
Mehrheits= und Minderheitsf ührern hatte die persönliche Entfrem-
dung allmählich einen kaum mehr zu steigernden Grad von Erbitterung
hervorgerufen. In der Minderheit selbst herrschte keineswegs Einigkeit.
„Spartakus“, ein Deckname, unter dem Liebknecht oder höchstens Rühle
vermutet werden konnte, zerpflückte in dem zweiten seiner „Politischen
Briefe“ achtzehn von den zwanzig Kreditverweigerern, indem er
schonungslos ihre innere Schwäche und Scheu vor den letzten Folge-
rungen enthüllte. Weder Liebknecht noch Rühle hatten sich der neuen
Partei angeschlossen. Sie standen noch weiter links und erstrebten, unter
Ablehnung einer nationalen Sozialdemokratie, eine internationale Par-
tei, deren Landessektionen nur Organe „der internationalen Spitze“
sein sollten.
Mitte März hatte die Liebknecht-Gruppe in einer mitteldeutschen
Stadt eine Vertreterkonferenz veranstaltet. An ihr nahmen Anhänger
teil aus Leipzig, Dresden, Pirna, Chemnitz, Jena, Gera, Braunschweig,
Halle, Hannover, Essen, Duisburg, Stuttgart, Göppingen. Man konnte
also schon von einer sich über das ganze Reich erstreckenden Organi-
sation sprechen.
Auch die Gewerkschaften hatten sich eifrig mit der Spaltungs-
frage befaßt. Die Verstimmung über die Schwäche der Fraktionsmehr-=
heit gegenüber den 20 Disziplinverächtern hatte hier dahin geführt,
daß bei den führenden Gewerkschaftern anscheinend allen Ernstes der
Gedanke erwogen wurde, notfalls eine eigene, reine Arbeiterpartei auf
gewerkschaftlicher Grundlage mit sozialpolitischen und sozialistischen
Zielen und zum Zwecke konsequenter Fortsetzung der Politik des 4. August
ins Leben zu rufen. 1) Wenn ein solches Vorgehen natürlich auch nur
als letzter Ausweg anzusehen war, so bildete die Tatsache allein, daß
es erwogen wurde, einen Beweis für die Schwere der Parteikrise.
Die Regierung kam den Gewerkschaften durch Einbringung einer Novelle
zum Reichsvereinsgesetz entgegen, die ihnen in sofern größere Be-
1) So schrieb der „Grundstein“ (Organ der Bauarbeiter) am 18. 3. 1916, „in
den Gewerkschaften komme der Arbeiterwille viel reiner zum Auedruck als in der
Partei. Am wenigsten aber dürften sich die Arbeiter den Liebknecht, Pannekoek,
Radek anvertrauen, die für die Gewerkschaftsarbeit niemals etwas übrig gchabt
bätten“.