Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Erster Band. Der Weg zur Revolution 1914-1918. (1)

Die Lebensmittelteuerung 23 
Gruppe „Flugblätter übelster Art“ ins Feld sende 1) und dabei bekannte 
Mitglieder der Fraktionomehrheit als Absender angebe. 
Eine besondere Taktik befolgte der Abg. Dr. Cohn. Wo es an- 
gängig war, setzte er sich für die gefangenen und internierten Russen 
und Engländer ein unter den gröbsten Vorwürfen gegen die deutsche 
Regierung und das Heer im allgemeinen und die Offiziere im be- 
sonderen. Davon aber, was unsere gefangenen Landoleute in Feindes- 
land zu erdulden hatten, schwieg er; mir ist aus den vielen Kommis- 
sionsverhandlungen auch nicht ein Fall erinnerlich, in dem er wenig- 
stens unsere Vergeltungsmaßnahmen als berechtigt anerkannt hätte. 
Beileibe nicht. Galt es doch international zu denken und zu handeln — 
natürlich zum Schaden des eigenen Landes! — 
Zwei Fragen bewegten seit Beginn des Jahres 1916 die Arbeiter- 
schaft — und zwar nicht nur die sozialdemokratische — mit be- 
sonderer Lebhaftigkeit: Die Lebensmittelnöte und die Reform des 
preußischen Wahlrechtes. 
Der Unmut über die Teuerung hatte neue Nahrung erhalten an- 
läßlich der zahlreichen Beurlaubungen einberufener Väter um Weih- 
nachten herum. Besonders wenn die Urlauber vor längerer Feit schon 
einmal auf Urlaub daheim waren und nun den Unterschied in der 
Lebenshaltung der Ihrigen gegen früher beobachteten, war große Ver- 
stimmung die Folge; viele kamen dann in das Gewerkschaftshaus und 
beklagten sich dort über alles, ohne das ihnen natürlich wesentlich zu 
helfen war. Vielleicht hätten Beruhigungoartikel in den von den Massen 
gelesenen Zeitungen Erfolg gehabt; im allgemeinen bewahrte diese 
Presse jedoch hierin Zurückhaltung. — Um so eifriger bedienten sich 
die Radikalen dieses willkommenen Agitationsstoffes. Es kann hier 
der Regierung der Vorwurf nicht erspart bleiben, daß sie, wie siets, 
unentschlossen und schwach, in der Furcht vor der großen Masse der 
Verbraucher in den Großstädten und Industriezentren sich in einen 
in hohem Maße bedenklichen Staatssozialismus hatte hineindrängen 
lassen, und daß sie, als seine Folgen sich in einer schweren Gefährdung 
der Volksernährung zeigten, so gut wie nichts gegen die zeitweise 
geradezu maßlose Hetze gegen die Landwirtschaft tat. Der unselige 
Gegensatz zwischen Stadt und Land wurde zum Schaden der Gesamt- 
heit wieder aufgerissen. Jetzt schon zeigte sich, daß es eine verhängnis= 
*- 1) Siehe Anhaong, „Flugblaltpropaganda“, Nr. 6.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.