32 Drittes Kapitel
erneut geschürt werden mußte, wenn es nicht allmählich erlöschen solle?
Aber vielleicht wollte man auch jetzt noch den Feind — namentlich
England — nicht „zum Außersten treiben“ und glaubte, deshalb auch
dem eigenen Volke gegenüber Enthaltsamkeit üben zu müssen.
Jedenfalls muß festgestellt werden, daß diese hier sich zurück-
haltende und bremsende, dort der biöher als staatsfeindlich geltenden
und sich auch so gebärdenden Richtung entgegenkommende Politik der
Reichsleitung gleichfalls schon früh in den national gesinnten Kreisen
Sorge und Unmut hervorzurufen und damit den Keim zu inneren
Zwistigkeiten zu legen begann, die zu verhüten, gerade das eifrige, oft
und laut betonte Bestreben der Regierung war.
Die Frage der Kriegsziele, einmal aufgeworfen, konnte nicht zur
Ruhe kommen. Die Regierung kämpfte verzweifelt mit Zensur, Zei-
tungsverboten und Beschlagnahmen gegen das immer mächtiger sich
äußernde Verlangen nach Freigabe der öffentlichen Erörterung. Viel
Schaden an nationalem Empfinden ist hier von der Zensur angerichtet
worden. Das Negierende konnte meist sich sicher fühlen, das Fordernde
wurde — „i#m Interesse der Einigkeit“ — zum Schweigen verurteilt.
Unsicherheit und Uneinigkeit herrschten in allen Kreisen über jede
einzelne Frage. Auch den faulsten Frieden hätte die Regierung dem
Volke vorlegen können mit der zutreffenden Begründung, es sei ein
einheitlicher Volkswille nicht vorhanden. 1) Besonders jene Richtung,
zu der neben der Sozialdemokratie auch der Freisinn gehörte, und die
bis jetzt sehr viel mehr als Förderer des Weltbürgertums, denn als
solche des deutschen Vaterlandes gegolten hatte, erfreute sich der be-
sonderen Begünstigung durch die Politik Bethmann Hollwegs. Ihre
Parteien vergalten die ihnen geleisteten Dienste in taktisch kluger Weise,
indem sie — besonders der Freisinn — dem Kanzler ein Vertrauens-
votum über das andere aussprachen und seine, durch die siellvertreten-
den Generalkommandos ausgeübten Gewaltmaßregeln in jeder Weise
unterstützten, wenn sie auch gelegentlich durch Wortproteste den Schein
der Prinzipientreue zu wahren suchten.
Nicht angenehm war es für das Kriegsministerium, daß der
1) Als es sich übrigens später, — 1916 — um die Friedensvermittelung
Wilsons handelte, hat unsere Regierung die Kriegsziele diesem und ganz vertrau-
lich dem engeren Ausschuß des Reichstages mitgeteilt. Die Parteiführer waren
also unterrichtet, nicht aber das Polk.