Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Erster Band. Der Weg zur Revolution 1914-1918. (1)

40 Drittes Kapitel 
Jammerbriefen verbreitet wurden, zu eigen. Immer wieder aber trat 
der Fall ein, daß sozialdemokratische Blätter sich gegen derartige Mah- 
nungen wandten oder sie sogar mißbilligten. 
Dabei entbehrte und darbte in Deutschland der Mittelstand mehr 
als die Masse der Industriearbeiter. Hatten diese schon im Frieden 
durchschnittlich besser gelebt als jene, so war es jetzt dem Handwerker, 
Kleingewerbetreibenden und vor allem dem festbesoldeten Angestellten, 
Beamten und Offizier bei den schmalen Einkünften so gut wie un- 
möglich, sich auskömmlich zu ernähren. Aber man biß die Zähne zu- 
sammen und hatte Staats= und Gemeinsamkeitsgefühl genug, um 
schweigend das Unabänderliche zu tragen. Für diese Kreise trat nie- 
mand ein; die Regierung nahm ihr Opfer als selbstverständliche Bürger- 
pflicht an, und die Sozialdemobratie, der sie wegen ihrer Staats- 
treue und ablehnenden Haltung gegenüber allen Umsturzbestrebungen 
gründlich verhaßt waren, sah schadenfroh zu, wie diese festeste Säule 
der Monarchie ins Wanken geriet. Mir ist nichts davon bekannt, daß 
an Lebenomittelzulagen für die geistig schwerarbeitenden Angestellten, 
Beamten und Offiziere gedacht worden ist, deren Arbeitstag vielfach 
mehr als zehn Stunden betrug; für den Arbeiter der Kriegsindustrie 
waren sie verfügbar. Manche Bitterkeit schuf dieses ungleiche Maß 
bei der Bewertung von Kopf= und Handarbeit, und es sei hier festge- 
stellt, daß es nicht der Wahrheit entspricht, wenn behauptet wird, die 
Arbeiterschaft hätte die größten Entbehrungen zu ertragen gehabt. Dies 
taten ganz andere Kreise. 
Eo ist hier nicht der Ort zu wirtschafts-politischen Betrachtungen. 
Daß aber an dieser Verelendung der heimischen Lebenemittelversorgung 
die auf die Spitze getriebene Zwangswirtschaft mit ihrer „Erfassungs- 
theorie“ die Hauptschuld trug, ist wohl jedem klar. Die zahlreichen 
Einkaufs= und sonstigen Kriegsgesellschaften haben über das deutsche 
Volk eine schlimmere Blockade verhängt als die Feinde es vermochten. 
Nicht zum wenigsten hat diese Wirtschaft in Heimat und Heer den 
Boden für den Umsturz bereitet. 
Und doch — was bedeuteten diese Entbehrungen der Heimat 
gegenüber dem Ungeheueren an Ansirengungen, Mangel und Gefahren, 
das die Frontkämpfer täglich und stündlich auf sich nahmen? Dies 
nicht unablässig ihren Lesern mahnend vor Augen geführt zu haben, 
bleibt eine schwere Schuld der sozialdemokratischen Blätter. Statt
	        
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