Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Erster Band. Der Weg zur Revolution 1914-1918. (1)

Die russische Revolution und ihre Wirkung auf die deutsche Sozialdemokratie 41 
dessen gaben sie der in den Massen infolge der unbefriedigenden Er- 
nährung entstandenen und durch die Agitation der sozialdemokratischen 
Minderheit verschärften Friedenssehnsucht mehr und mehr nach, ja 
führten ihr neue Nahrung zu durch ein zumeist ganz einseitiges Be- 
tonen aller noch so schwächlichen Friedensstimmen des Auslandes. So 
entstand in der deutschen Arbeiterschaft allmählich eine müde Resig- 
nation gegenüber den großen Ereignissen der Zeit, ein Uberwuchern der 
kleinsten Alltagssorgen und eine allgemeine Mißstimmung. 
Da kamen die ersten Nachrichten über die Umwälzung in 
Rußland. Sie wurden mit verschiedenartigen Empfindungen in der 
Sozialdemokratie aufgenommen. Die Abdankung des garen, gegen den 
sie seit Jahrzehnten einen tiefen Haß in der deutschen Arbeiterschaft 
großgezogen hatte, löste große Befriedigung aus. Andererseits blieb es 
der sozialdemokratischen Presse nur sehr kurze Zeit verborgen, daß die 
Umwälzung nicht das friedensbedürftige russische Proletariat an die 
Macht gebracht hatte, sondern dieses gerade dem bekanntesten Imperia- 
listen (Miljukow) in den Sattel geholfen zu haben schien. So kam 
in den Blättern eine ungeteilte Freude über das Ergebnis nicht zum 
Au#oruck, stellenweise sogar die Besorgnis, die Belebung der Friedens- 
boffnungen werde in Rußland eine erneute Anspannung des Willens 
der Kämpfer erzeugen. Hierbei stellte man allerdings mit Genugtuung 
fest, daß das neue Regime vor den gleichen Schwierigkeiten der Er- 
nährungspolitik und der Güterbeförderung stehe wie das alte, so daß 
auf die Dauer ein Wachsen der Friedenoneigung wahrscheinlich sei. 
Natürlich versuchte man aus dem russischen Ereignis sofort für 
die eigenen innerpolitischen Ziele Nutzen zu ziehen. Die Forderung 
des Dr. Helphand (Parvus), selbst Russe, in der „Glocke“: „Dem 
demokratischen Nußland muß das demokratische Deutschland die Hand 
reichen zum Frieden“ wurde (Ende März) von der ganzen sozialdemo- 
bratischen Presse vertreten. Auch der soz. Privatdozent Dr. Ludo Moritz 
Hartmann sprach sie in einem Aufsatz „1792 bis 1917“ in der „Wiener 
Arbeiterzeitung“ aus. In einem Deutschland, das „seine Politik im 
Geiste der preußischen Junkerkaste orientieren will“, so schrieb die 
„Schwäbische Tagwacht“ 1), „werde das neue Rußland eine Gefahr 
1) Diese und die folgenden Zitate sind Besprechungen einer Rede des Kanzlers 
entnommen, die er am 14. März im Abgeordnetenhause hielt. Er sprach sich hier, 
in Erwiderung einer Herrenhausrede des Grafen Vork, für die Notwendigkeit inner- 
politischer Meseemen, im besonderen des preußischen Wahlrechts aus.
	        
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