Lloyd George — Deutschlands Freund 59
In der gleichen Zeitung (24. Juni) stellte Scheidemann, aus Stock-
holm zurückgekehrt, dar, welche Schwierigkeiten angeblich den deutschen
Sozialisten bei ihrem Versuch, den Frieden herbeizuführen, immer wie-
der aus der vermeintlichen Rückständigkeit der deutschen Verfassungs-
verhältnisse erwüchsen. Auch die „Chemnitzer Volkssiimme“ (25. Juni)
schrieb: „Nur in Deutschland glaubt die Regierung tiefgreifende, sicht-
bare Reformen an Reich und Staat jetzt noch nicht nötig zu haben.“
Darüber hinaus verlangte der Abg. Dr. Quessel in der „Europäischen
Staats= und Wirtschaftszeitung“ das parlamentarische System, weil
durch dieses die Spaltung der politischen Kräfte der Nation in zwei
einander entgegenwirkende Teile beseitigt werden, und der Dualismus
zwischen Politik und Krone schwinden könne (1).
„Es ist unsinnig, zu behaupten, Lloyd George wolle die Demo-
kratie für Deutschland, weil er wisse, daß die Demokratie für Deutsch-
land ein Schaden sei.“ (Breslauer Volkswacht, 3. Juli.) Natürlich,
einen wohlwollenderen Freund Deutschlands als Herrn Lloyd George
gab es ja in der ganzen Welt nicht! Unterstützt wurden solche Anschau-
ungen durch demokratisch-pazifistische Außerungen. So bestritt Professor
Foerster in der „Münchener Post“ und im „Volksfreund“, Karloruhe
(4. Juni), einen allgemeinen Vernichtungswillen der Gegner gegen uns;
dieser Wille richte sich nur gegen „eine bestimmte, machtpolitische Sippe“.
Werde Deutschland demokratisiert, so könne die zu einem Frieden mit
dem deutschen Volke bereite Minderheit schnell zur Mehrheit werden.
Ein klassischer Beweis demokratischer und sozialdemokratischer
Urteilsfähigkeit in äußerer Politik, sowie es sich um Parteiziele handelte.
Daneben begann die sozialdemokratische Presse mit der Veröffent-
lichung von meist eine starke Kriegsmüdigkeit wiederspiegelnden Feld-
postbriefen.
Eine Reihe weiterer Momente wirkte ungünstig auf die Stimmung
der Massen ein: Das langsame Vorankommen, besser Versanden der
Stockholmer Konferenzu), das Ausbleiben unmittelbar friedensfördern-
der Wirkungen der russischen Revolution, die Aussicht auf einen vierten
Kriegswinter, die Erbitterung vieler Arbeiter über das Verhalten man-
1) Der Abg. Bernstein hatte in der „Internationalen Rundschau“ (Sürich)
einen so einseitig deutschunfreundlichen Aufsatz über die Leitgedanken der Unab-
hängigen in Stockholm erscheinen lassen, daß im gleichen Blatte ein Russe ihm
widersprach.