Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Erster Band. Der Weg zur Revolution 1914-1918. (1)

60 Sechstes Kapitel 
cher Arbeitgeber, zumal im Vaterländischen Hilfsdienst, die Brot= und 
Kartoffelknappheit, die Teuerung auf dem Frühgemüse= und Kohlen= 
markt. Dazu kam die nervenanspannende Defensive an allen Fronten 
und — alo Schlimmstes — die Wühlarbeit der Unabhängigen Partei. 
Daß Führer und Presse der Sozialdemokratie alles, was die Not 
der Stunde erforderte, getan hätten, um dieser weit verbreiteten Unzu- 
friedenheit, teilweise Mutlosigkeit Herr zu werden, kann — von rühm- 
lichen Ausnahmen abgesehen — nicht zugegeben werden. Jedenfalls 
sahen die „Führer“ sich einer Massenstimmung gegenüber, die sie vor- 
wärts trieb. Wie bei dem -prilstreik, zeigte es sich auch diesmal, daß 
es eine wirkliche Führung nicht gab, sondern Abgeordnete und Gewerk- 
schaftsbeamte die Geschobenen eines Willens waren, der — nicht 
ohne ihr Zutun — eine Bahn einzuschlagen begann, die keineswegs 
zum Heile des Volksganzen und damit auch zu dem der Arbeiterklasse 
führen konnte. 
Wie oft hat sich nicht dieses Schauspiel seit den Tagen der Nevo- 
lution, dieses größten Verbrechens am deutschen Volke, bei den Männern, 
die ung regierten, wiederholt! 
Die Frage bleibt offen, ob dies damals von den Führern erkannt 
wurde. Wenn ja, so fehlte ihnen der Mut oder die Kraft, auf dem 
beschrittenen Wege Halt zu machen; wenn nein, so kann ihnen der 
Vorwurf mangelnder Einsicht in die Zusammenhänge zwischen innerer 
und äußerer Politik nicht erspart werden. 
Am 3. Juli unternahm der Abg. Ebert in der Sitzung des Haupt- 
ausschusses einen Vorstoß gegen die Regierung. Er erklärte unter Hin- 
weis auf die wirtschaftlichen Verhältnisse, daß wir am Ende unserer 
Kraft seien; wir seien am Schluß. 
Man sei jetzt dabei, den allerjüngsten Jahrgang einzuziehen: 
Junge Arbeiter, Lehrlinge im Alter von 17 bis 18 Jahren, ausge- 
mergelt, unterernährt, überarbeitet, zögen in die Kasernen, ohne Zu- 
versicht, in gedrückter Stimmung und verängstigt. (Wer trug an dieser 
Stimmung die Schuld? D. Verf.) 
Zu all diesen niederdrückenden Sorgen kämen schwere Enttäuschungen. 
Die übertriebenen Hoffnungen auf den U-Bootkrieg seien nicht in Er- 
füllung gegangen. Der England zugefügte Schaden sei durch den Hinzu- 
tritt Amerikas völlig ausgeglichen worden. 
Die Stimmung bei unseren österreichischen Bundesgenossen sei
	        
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