Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Erster Band. Der Weg zur Revolution 1914-1918. (1)

72 Siebentes Kapitel 
Annäherungsversuche der alten Partei, an denen es nicht fehlte, 
wurden höhnisch abgewiesen. So bemerkte das „Mitteilungsblatt“ der 
Berliner Unabhängigen zu solchen frommen Wünschen kurz, die guten 
Leutchen brauchten sich keine Mühe zu geben, eine Verkleisterung 
herbeizuführen; „nur mit Sozialdemokraten, nicht mit Sozialpatrioten 
kann man sich einigen.“ Noch deutlicher wurde der Abg. Mehring, der 
in der „Leipziger Volkszeitung“ (16. August) erklärte, mit einer Partei 
von Gnaden des Belagerungszustandes und der Regierung, das heiße: 
mit einem Leichnam, verbände man sich nicht. 
Das Streben der Unabhängigen ging besonders dahin, die ge- 
werkschaftliche Disziplin zu erschüttern; einige Gewerkschaftskartelle 
(Metallarbeiterverband) waren bereits politisch in Abhängigkeit von 
ihnen geraten. Unter Ausnutzung der Kriegsmüdigkeit und Ernährungs- 
not wurde erneut zum Streik gehetzt 1). Wenn auch die Drahtzieher vor- 
sichtig im Hintergrunde blieben, so gab sich die unabhängige Presse 
doch nicht einmal die Mühe, ihre Beteiligung ausdrücklich zu leugnen. 
Daß auch diesmal wieder feindliches Geld im Spiele sei, wurde selbst 
von einem Teile der Gewerkschaften in Versammlungen und in der 
Peesse als sicher bezeichnet. 
Warnend wiesen Kriegsministerium und Reichomarineamt die zu- 
ständigen Behörden, Reichsamt des Innern und Preußisches Ministerium 
des Innern, auf die wachsende Gefahr hin. 
Allmählich begann die sozialdemokratische Presse ihre Haltung 
gegenüber dem Kanzler zu verschärfen. Man mißtraute seinem ehrlichen 
Willen, auf dem Boden der Friedensresolution stehen zu bleiben und 
verlangte von ihm eine unzweifelhafte Absage an die Kriegsziele der 
Rechten.= Der „Vorwärts“ erklärte sogar am 10. September: „Herr 
Michaelis ist der erklärte Liebling aller Feinde des Reichstags, des 
Verständigungöfriedens und des politischen Fortschritts. Er hat bis zum 
heutigen Tage nicht eingesehen, daß ein Kanzler, zu dem das Volk 
Vertrauen haben soll, sich nicht durch solche Liebe kompromittieren 
lassen darf.“ 
Vor allem aber forderte man, daß der Kanzler den Kampf gegen 
die verhaßte Vaterlandspartei aufnehme. In ihr sah die Sozialdemokratie 
mit sicherem Instinkt den unerbittlichen Feind aller internationalen 
Friedensduselei, und deshalb zog sie mit allen Kräften der Demagogie 
h Eiehe Anharg, „Flugblatipropaganda“, Nr. 8.
	        
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