80 Siebentes Kapitel
an, derselbe Herr Dittmann, unter dessen Auspizien sich die Meuterei
auf der Flotte entwickelt hatte.
Es sei hier eingeschaltet, daß die Parteiführer über diese Vor-
gänge vom Reichskanzler unterrichtet waren. Sie hatten mit ihrer
Entrüstung nicht gekargt, besonders auch nicht die Sozialdemokraten,
au der Spitze die Herren Ebert und Stücklen. Da aber der Reichsanwalt
ein Einschreiten abgelehnt hatte, war man übereingekommen, bis zur
Vervollständigung der Untersuchung Geheimhaltung zu bewahren.
In jener Sitzung vom 9. Oktober ließ sich nun der Kanzler dazu
hinreißen, in Zurückweisung des Vorstoßes des Abg. Dittmann, in
gewisser Beziehung den Schleier zu lüften und zu erklären, die Unab-
hängige sozialdemokratische Partei verfolge staatsgefährdende Ziele, er
sei nicht mehr in der Lage, ihr objektiv gegenübertreten zu bönnen.
Im übrigen werde der Staatssekretär v. Capelle sich näher äußern.
Des Hauses bemäechtigte sich eine unbeschreibliche Aufregung. Die
Führer horchten hoch auf. Nach den getroffenen Vereinbarungen mußten
sie — und mit Recht — annehmen, daß inzwischen neues, erdrücken-
des Beweiomaterial in die Hände der Regierung gelangt sei. Als nun
Herr v. Capelle lediglich die ihnen schon bekannten Tatsachen anführte,
kannte ihre Entrüstung keine Grenzen. Sofort nahmen sie, zuerst das
Zentrum, dann mit erhöhtem Pathos Abg. Naumann für den Freisinn
und mit ungewöhnlicher Schärfe Herr Ebert von den Sozialdemokraten,
gegen den Kanzler und für die Partei der Unabhängigen Stellung.
Freilich war von der Regierung eine Ungeschicklichkeit, ein Miß-
griff begangen. Diesen aber in falschem Gerechtigkeitsgefühl so aus-
zuwerten, daß der Reichstag aufgefordert wurde, sich schützend vor eine
Partei zu stellen, deren Agitation, wie jedem klar war, die Unter-
wühlung unserer Wehrmacht und damit unseren sicheren Untergang vor-
bereitete — das konnten eben nur jeden Wirklichkeitssinnes bare, deutsche
Abgeordnete fertig bringen, von denen jeder einzelne für sich in An-
spruch nahm, wenn schon nicht „geborener Staatsmann“, so wenigstens
„weitschauender Politiker“ zu sein.
Es war ein Wunder, daß der Tag nicht in einer Apotheose der Un-
abhängigen Partei endete. An ihren Brüdern von der Mehrheitspartei
und deren bürgerlichen Mitläufern hat es nicht gelegen.
Er brachte aber eine scharfe Kampfansage an den Kanzler und da-
mit die sichere Aussicht seines baldigen Rücktritts.