84 Achtes Kapitel
zwischen Kreditbewilligung und Ablehnung der militärischen Forde-
rungen im Frieden hin; die geschichtliche Entwickelung habe den Sozial-
demokraten eben unrecht gegeben, und leider seien sie noch zu stark
von agitatorischen Bedürfnissen abhängig, um so ehrlich gegen sich selbst
zu sein, dies zuzugestehen. Zur Frage der Berücksichtigung der so oft als
treibende Kraft hingestellten Volksstimmung fiel vom Abg. Meerfeld
das kluge Wort: „Mancher Führer schafft sich erst die nötige Massen-
stimmung, um sich dann hinter ihr zu verkriechen“, die Massen dächten
meist wie ihre Führer.
Wie richtig beobachtet dies war, zeigte die „aus dem Volkswillen
geborene“ Revolution 1918. —
Unter dem Einfluß der Reichstagsereignisse wurde eine Ent-
schließung zur Förderung aller Einigungsbestrebungen innerhalb der
Sozialdemokratie gefaßt, die natürlich vom Vorstand und von der ge-
samten Presse der Unabhängigen Partei ablehnend aufgenommen wurde.
Im allgemeinen bedeutete der Parteitag nach außen eine Verschiebung
des Schwergewichtes der Partei nach rechts durch Aufgabe der grundsätz-
lichen Negation; gleichzeitig aber eine kaum verhüllte Kampfansage an
jede Regierung, die sich nicht gewillt zeigte, demokratisierenden Forde-
rungen nachzugeben. —
Der erbitterte Kampf der sozialdemokratischen Presse gegen den
Reichskanzler Dr. Michaelis wich erst dann einigen Versuchen, seiner
Persönlichkeit gerecht zu werden, als die Einreichung seines Rücktritts-
gesuches bekannt wurde.
In der Frage der Nachfolgerschaft einigten die Mehrheitsparteien
sich schließlich auf eine Regierung Hertling-Payer-Friedberg. In Graf
Hertlings Programm fehle manches, was die Sozialdemokratie wolle,
aber es sei „nichts darin enthalten, was sie nicht auch will“. („Vor-
wärts“ vom 1. November.) Alles komme auf die Ausführung an. Im
ganzen bedeute eine Regierung der Mittelparteien einen Fortschritt. —
Und mit Behagen wurde weiter festgestellt, daß die Sozialdemo-
kratie den Vorzug habe, an der Verantwortung nicht mitzutragen; ihre
Freundschaft werde der Regierung nützlich, ihre Neutralität erwünscht,
ihre Feindschaft gefährlich sein.
Bekanntlich wurde die angedeutete Regierungsbildung zur Wirklich-
keit — die Krone verlor wieder ein Stück ihrer Macht. Die innere Lage
erfuhr eine gewisse Entspannung.