86 Achtes Kapitel
war eine gute Dosis jenes Giftes, an dem der Volkskörper allmählich
siech wurde.
Der Sozialdemokrat, M. d. R. Dr. Lensch, rief entrüstet ob dieser
Außerung aus („Hamburger Echo“ 15. November), er könne sich „kein
sichereres Mittel denken, die eigene Widerstandskbraft zu schwächen, als
diese hier gepredigte Angst vor den eigenen Erfolgen“; der „soge-
nannte tragische Konflikt“ bestehe nur in der Einbildung. „Was uns
bisher gerettet hat, sind lediglich unsere militärischen Erfolge gewesen.“
Alles sehr schön, aber die Leser des „Vorwärts“ fanden diese
Widerlegung nicht in den Spalten des „amtlichen“ Zentralorgans der
Partei. —
Mehrfach fanden in dieser Zeit Gautage der Gewerkschaften statt.
Auf ihnen spielten Debatten über Anlegung des Verbandsvermögeno
in Kriegsanleihe eine große Rolle. Die Vorstände erklärten mehrfach,
mit Rücksicht auf die Stimmung der Kollegen (1) hätten sie auf die
Anlegung in Kriegsanleihe verzichtet, obwohl natürlich die Banken
dad angelegte Geld doch zu diesem Zwecke benutzten und so nur die
höhere Verzinsung bezögen, die sonst der Organisation selbst zu Gute
kommen bönnte.
Uberhaupt begann sich eine rege Versammlungstätigkeit in der
Partei zu entwickeln. Uberall wurde lebhaft gegen die Vaterlandspartei
und für die Verzichtspolitik der Mehrheitsparteien des Reichstages
Propaganda gemacht. Auch die Landtagsreformvorlagen wurden hierbei
scharf kritisiert. Die Heraufsetzung der Altersgrenze für die Wahl-
berechtigung und die Staatsangehörigkeits= und Wohnsitzbestimmungen
wurden heftig bekämpft.
Dem gegenüber blieben die Unabhängigen nicht müßig. Erheblich
schärfer noch als die Stampferschen Blätter drängten sie auf Frieden
mit den Bolschewiki und darauf, daß die deutschen Arbeiter aus ihrer
Passivität herausträten. Mit überlegter Schärfe schrieb Kautsky in der
„Leipziger Volkszeitung“ (1s. November) gegenüber der alten Partei:
„Wer die Parlamentarisierung fordert, gleichzeitig aber dem Prole-
tariat bei allen Versuchen in den Arm fällt, durch die
seinem Wesen entsprechenden Methoden auf das Parla-
ment ein zuwirken, dem ist es mit der Demokratisierung der
Politik nicht ernst; dessen Erklärungen der Sympathie für die russische
Nevolution sind aber auch nur Spiegelfechterei.“