Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Dritter Band. Wehr und Waffen 1914-1918. (3)

264 Erstes Kapitel 
abgespielt hatten. Gerüchte über Plünderungen und Mordbrennereien 
im Hinterland ließen Schlimmes befürchten. 
Es zeigte sich klar, daß jetzt nicht mehr nationale Gründe für die 
Auflösung allein wirksam waren. Die Einflüsse der russischen Revo- 
lution und das Eindringen des bolschewistischen Giftes übten ihre 
Wirkung. Sie waren in Osterreich-Ungarn gewissermaßen in den Hinter- 
grund gedrängt gewesen durch die nationale Zersetzung. Die Sozial-= 
demokratie hatte auch bisher keineswegs die Rolle gespielt wie in Deutsch- 
land. Jetzt trat sie auf den Plan, und es sollte sich bald zeigen, daß 
wie immer in Zeiten des Zerfalls und der Auflösung die Herrschaft 
nur zu schnell den gemäßigten Elementen entgleitet und den radikalen 
zufällt. 6 
Das Ende kam noch schneller als erwartet. 
Am 28. veröffentlichten die Wiener Blätter eine neue Note des 
Kaisers an die' Entente, in der er in nicht mißzuverstehender Form 
den Sonderfrieden anbot, Deutschland also im Stich ließ. Damit trennte 
er selbst dag Band, das Deutsch-Osterreich noch mit ihm verband. An 
demselben Tag erklärte die Tschechoslowakei ihre Selbständigkeit und 
trat offen in die Reihen der Feinde. Ein Nationalrat übernahm in 
Prag die Regierung. Am 20. folgten die Südslawen. Slowenen, 
Serben und Kroaten errichteten ihren selbständigen Staat. Der 30. 
brachte den Umsturz in Wien. 
Schon morgens wälzten sich Menschenmassen mit Gebrüll und 
Makaten, von Sicherheitswachtleuten friedlich begleitet, den Ring ent- 
lang zum Kriegsministerium. Wir mußten uns durchwinden, um hinein- 
zukommen. Behelligt wurden wir übrigens weder hier noch in den 
nächsten Tagen, obwohl ich gewarnt wurde, mich in Uniform auf der 
Straße zu zeigen. Bis zum Nachmittag blieb das Kriegsministerium 
umlagert. Auf dem Rückweg kam uns ein wüster Haufe entgegen, 
der begegnende Offiziere entwaffnete und ihnen die Abzeichen abriß. 
Durch eine Nebenstraße konnten wir unbehelligt unser Hotel erreichen. 
Auch das blieb bis zum Abend von einer Menge abgesperrt, die, auf 
dem Ring umherziehend, mehr Torheiten als Gewalttaten beging. 
Truppen sah man nirgends; nur unbewaffnete Soldaten Arm in Arm 
mit dem Volk. 
Erst am Abend konnten wir Näheres über die Vorznze des 
Tages erfahren. Die Republik Deutsch-Osterreich war proklamiert.
	        
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