Full text: Erinnerungen an die Kriegsjahre im Königlich Preußischen Kriegsministerium. Dritter Band. Wehr und Waffen 1914-1918. (3)

86 Fünftes Kapitel 
es auch nicht sein konnte, fand am 30. 10. eine Besprechung unter 
seiner Leitung in Berlin statt. Hierbei sah sich der Kriegsminister 
veranlaßt anzuerkennen, daß alles geschehen sei, was zur schleunigen 
Steigerung der Munitionslieferungen nötig sei; er billigte die getrof- 
fenen Maßnahmen, betonte die hohe Bedeutung der Frage und hob 
andernteils hervor, daß niemand mit einem solchen Munitionsverbrauch 
habe rechnen können. 
Die Steigerung der Munitionsfertigung war nicht so einfach wie 
vielfach auch bei den höchsten militärischen Stellen angenommen wurde. 
Es genügte nicht, bei allen in Betracht kommenden Firmen Geschosse 
und Zünder zu bestellen. Denn mit Geschossen und Zündern allein 
kann man nicht schießen; es gehört vor allem Pulver als Treibladung 
und Sprengstoff zum Laden des Geschosses dazu. Es ist merkwürdig, 
wie oft und wie hartnäckig das in den ersten Kriegsjahren selbst bei 
der Obersten Heeresleitung vergessen wurde. Die Behauptungen, daß 
wir viel mehr Munition haben könnten, wenn das Kriegsministerium 
nur mehr bestellen wollte, verstummten nie. Von einer Stelle ist so- 
gar behauptet worden, daß kurz vor dem Eingreifen des stellv. Chefs 
des Generalstabes im Oktober 1014 die Industrie Anweisung erhalten 
habe, sich nicht auf große Lieferungen einzustellen. Eine solche Anweisung 
ist vom Kriegsministerium nie erlassen worden. Auch Reichstagsab- 
geordnete haben die Anschauung vertreten, das Heer hätte mehr Munition 
haben können, wenn das Kriegsministerium nicht Munitionsaufträge 
aufgehoben hätte. 
Alle diese Behauptungen und Gerüchte beruhen auf der falschen 
Anschauung, daß uns Geschosse und Zünder fehlten. 
Was uns in der Bereitstellung fertiger Schüsse fehlte, war Pulver 
und Sprengstoff. Kein Pulver und kein Sprengstoff ohne Stickstoff. 
Der erforderliche Stickstoff war aber in dem von außen abgeschlossenen 
Lande nicht in genügenden Mengen da und konnte deshalb nicht einfach 
„bestellt“ werden. Der deshalb notwendige Ausbau der deutschen Stick- 
stoffabriken wurde mit allen Mitteln in Angriff genommen, da die 
Steigerung der Belieferung des Heeres mit Munition wesentlich von 
der Fertigstellung der Anlagen abhing. Der Bedarf des Heeres an 
Stickstoffprodukten war so groß, daß der Landwirtschaft nur ein 
Teil ihres Friedensbedarfes als Dünge-Stickstoff abgegeben werden 
konnte.
	        
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