Gründe des Munitionsmangels 87
Was brauchte das Heer an Munition? Das schon angeführte
Schreiben des stellv. Chefs des Generalstabes beantwortete diese Frage
nicht. Mit der Beantwortung: „Möglichst viel!“ war nichts anzu-
fangen, denn beim Beginn des Baues von neuen Stickstoffabriken —
als Grundlage für die Munitionsfertigung — mußte ein ganz bestimm-
ter Umfang der Anlagen vorgesehen werden. Das Kriegsministerium
versuchte, die Frage selbst zu beantworten. Es ist ein Irrtum, und die
Darstellung ist völlig unberechtigt, daß der Chef des Generalstabes
bereits im Frieden die in einem Kriege kommende Munitionsnot er-
kannt und daß das Kriegsministerium trotz der entsprechenden Vor-
schläge des Generalstabes zur Abhilfe zu den erforderlichen Maßnahmen
nicht bereit gewesen wäre. Uber die bereitzustellenden Munitionsmengen
war in den letzten Vorkriegsjahren Einigkeit zwischen dem Generalstab
und dem Kriegsministerium erzielt worden. Von diesem waren die
erforderlichen Maßnahmen eingeleitet. Bei Ausbruch des Krieges waren
die geforderten Munitionsmengen im vollen Umfang noch nicht bereit-
gestellt. Im Verhältnis zu dem, was wirklich gebraucht wurde, war
der Unterschied zwischen den Munitionsmengen, die der Generalstab
schon im Frieden niedergelegt wissen wollte und den in Wirklichkeit
vorhanden gewesenen Munitionsmengen aber recht unbedeutend. Dieser
Unterschied würde die Munitionsnot in gar keiner Weise überbrückt
haben. Was uns, dem Generalstab ebenso wie dem Kriegsministerium,
gefehlt hat, und was auch bei unseren Gegnern nicht anders war, war
die richtige Einschätzung des Munitions= und Kriegsgeräts-Bedarfs und
infolgedessen die Erkenntnis der Notwendigkeit, eine wirtschaftliche Mo-
bilmachung vorzubereiten. Der Hauptgrund für die Munitionsknappheit
lag darin, daß wir uns wie alle kriegführenden Staaten über den
Bedarf ungeheuer geirrt hatten und darin, daß wir mit einem unvor-
hergesehen langen Krieg zu rechnen hatten, der uns in Rohstoff-
schwierigkeiten bringen mußte.
Ungewohnte Kriegsverhältnisse, in die Truppe und Führung sich
erst einleben mußten, mangelhaftes Verständnis der Truppe für die
Nachschubmöglichkeiten, Verwendung von Schnellfeuergeschützen wirkten
obendrein der unbedingt gebotenen Sparsamkeit im Munitionsverbrauch
entgegen. —
Bei der schweren Artillerie, die trotz der großen Reserven, die sie in
ihren Festunngsbeständen besaß und auf die sie infolge glücklichen Ver-