Ed. O. Schulze: Verlauf und Formen der Besiedelung des Landes. 97
Herren und Dienstmannen, deren Zahl dann durch die schon erwähnte
Zersplitterung der großen Landkomplexe im 12. Jahrhundert noch erheblich
vermehrt wurde.
Auf diese Weise erklärt es sich, daß gerade dort der sorbische Charakter
des Anbaus und auf sorbische Art zurückzuführende Eigentümlichkeiten in
Sprache, Brauch und Sitte besonders deutlich sich erhalten haben, wo viele
Rittergüter nahe bei einander liegen, die ihrer Entstehung nach der ersten
Periode der deutschen Herrschaft angehören. So z. B. um Meißen und
Dresden, in der Rochlitzer Gegend, im Altenburgischen, in Teilen des Vogt-
landes, in Anhalt. Auch die Lausitz hat bekanntlich Wendentum und wendische
Sprache in jenen Strichen am treuesten bewahrt, wo nachweisbar am frühesten
und am dichtesten der deutsche Adel seine Sitze begründet hatte.)
So trafen in diesen Gegenden ältester sorbischer Kultur mehrere
Momente zusammen, die der Erhaltung des Sorbentums günstig waren: die
große Anzahl der Sorben, die ja doch hier selbstverständlich am dichtesten
saßen, und das Interesse der deutschen Grund= und Gutsherren, deren
wirtschaftliche Bedürfnisse dringend die Beibehaltung frondienstpflichtiger
(sorbischer) Hintersassen forderten.“)
Nicht etwa, daß hier der Adel der deutschen Einwanderung überhaupt
widerstrebt hätte. Das war ganz und gar nicht der Fall. Im Gegenteil!
Bei größerer Ausdehnung seines Besitzes säumte der Ritter nicht, durch
Heranziehung deutscher Kolonisten den von ihm selbst nicht angebauten Teil
gewinnbringend zu verwerten.
Dies konnte nun in verschiedener Weise geschehen.
Entweder blieb der Ritter mit seinen Hörigen in dem alten Sorben-
dorf sitzen und überwies den Kolonisten einen abgesonderten Teil seiner
*) Für die Erhaltung des Wendentums in den Lausitzen kommen allerdings noch
andere Momente in Betracht, deren Einfluß auf den Verlauf der Besiedelung noch nicht
genügend untersucht ist. So z. B. die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu
den benachbarten schlesisch -polnischen Gebieten, und vor allem die jahrhundertelange
Herrschaft Böhmens.
*“) Andernfalls hätten sie ihre Eigenwirtschaften aufgeben und in bloße Renten-
grundherrschaften umgestalten müssen, wie dies im alten Reich fast durchweg geschah. — Später
thaten sie es auch häufig, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen: bei schlechtem
Boden und geringen Erträgen, oder mit Vorwerken, die sie, an einem andern Ort
wohnend, durch villici verwalten lassen mußten, und die deshalb wenig oder nichts
brachten. Im übrigen aber waren hier die Dinge zu jener Entwickelung ebensowenig reif,
wie sie es im alten Reich etwa 200 Jahre früher gewesen wären. Der kleine Herr mit
nur einem dieser kleinen Sorbendörfer (von vielleicht 150—200 ba insgesamt) hätte
von den Abgaben seiner Hintersassen — ohne Eigenwirtschaft — kaum existieren können.
So erhielten sich hier im Kolonialland die Eigenbetriebe in großer Zahl; und als dann
seit dem 15. Jahrhundert etwa der Kornhandel gewinnbringend wurde, entwickelten sie
sich zu Großbetrieben, wie sie für Ostelbien noch heute charakteristisch sind.
Wurtte, sächsische Volkslunde. 2. Aufl. 7