Ed. O. Schulze: Verlauf und Formen der Besiedelung des Landes. 105
In ihrer Wirtschaftsweise und in der Ordnung der inneren Dorfange-
legenheiten waren die Kolonisten nur an die Normen und Schranken ge-
bunden, die sie selbst als Wirtschaftsgenossenschaft, als Gemeinde der Nach-
baren, in ihrem Dorfgericht (Heimgerede), gegebenenfalls im Einvernehmen
mit dem Grundherrn, aufstellten. Sie sind aus späterer Zeit als Dorf-
ordnungen, Dorfwillküren, Nachbarbeliebungen, Dorfrügen u. s. w. bis auf
unsere Zeit erhalten. Auch hier zeigen sich schon früh die Anfänge eines
grundherrlichen Einflusses. Dieser entwickelte sich, gestützt auf das Ober-
eigentum und die obrigkeitlich-polizeilichen Befugnisse der Grundherren, immer
übermächtiger, seitdem diese anfingen, unter Ausdehnung der Dominial-
ländereien die Landwirtschaft berufsmäßig als gewinnbringende Unternehmung
(unter Produktion für den Markt) zu betreiben.
Natürlich finden sich im einzelnen vielfache Abweichungen von den so-
eben als typisch geschilderten Formen der Besiedelung. Die Voraussetzungen
waren nicht überall die gleichen. Die Verschiedenheiten der örtlichen Bedin-
gungen, des Charakters, der Intelligenz, der materiellen Lage der vertrag-
schließenden Parteien gab schließlich den Ausschlag, hier mehr zu Gunsten,
dort mehr zu Ungunsten der Kolonisten.
Die wichtigsten Punkte wurden aber doch immer und überall festgehalten:
VBöllige persönliche Freiheit, Fixierung der Leistungen, erblicher Besitz. Die
persönliche Freiheit war geradezu die Grundlage, die Voraussetzung und not-
wendige Begleiterscheinung des ganzen Besiedelungswerkes. Sie wurde selbst
unfreien (flüchtigen) Zuwanderern zu teil, wenn sie Jahr und Tag unange-
sprochen auf Kolonistengütern gesessen hatten. Auch die Sorben erlangten
unter dem Einfluß des freiheitlichen Zuges, der die Kolonisation durchwehte
und trug, allmählich die Lösung ihrer persönlichen, rechtlichen und wirtschaft-
lichen Bindung.
In den verschiedenartigsten Wendungen wird in den Ansiedelungsver-
trägen zum Ausdruck gebracht, daß es sich, trotz Zins, nicht um irgend eine
Art hofrechtlicher Güterübertragung, sondern um freie Leihe handelt. Nirgends
findet sich in der älteren Zeit eine Beschränkung des freien Abzugs. Nach
Erfüllung seiner vertragsmäßig übernommenen oder durch Landes= und Orts-
recht und -brauch vorgesehenen Pflichten hinderte den Kolonisten nichts, sein
Gut aufzugeben, zu veräußern und sich in anderer Gegend ein neues Heim
zu bauen.
Freizügigkeit der Kolonisten auf der einen, Wettbewerb der Grundherren
von 1349 besaßen sie fast überall „zudicium in corpore et re“. — Erst seit dem
15. Jahrhundert begann mit Erstarkung der Fürstengewalt eine rückläufige Bewegung,
die aber doch den „Schriftsassen“ den Blutbann lassen mußte.