106 Ed. O. Schulze: Verlauf und Formen der Besiedelung des Landes
um sie auf der andern Seite machten natürlich eine hohe Zinsbelastung un-
möglich. Nur in vereinzelten Fällen wird (abgesehen von der späteren Zeit,
als die Bauern ihrerseits um den schon knapp gewordenen Boden sich be-
warben, und von der Übertragung bereits kultivierter Hufen), der Zins
einigermaßen der Nutzung entsprochen haben.
Aber noch wichtiger als die mäßige Höhe des Zinses war der Umstand,
daß er von vornherein in bestimmter Höhe fixiert war. Infolgedessen kam
die wachsende Produktivität des Bodens nicht dem Grundherrn, sondern dem
Bauern zugute,') der auf diese Weise auf das lebhafteste für die Steigerung
der Bodenergiebigkeit interessiert war, und dessen Wohlstand bei dem steigen-
den Ertrag gegenüber gleichbleibender Zinsleistung rasch zunahm.
Auch der Zehnt, als Quote des Rohertrags ohne Rücksicht auf Mühe
und Kosten der Produktion nicht nur lästig, sondern geradezu kulturschädlich,
eine Prämie der Trägheit und Nachlässigkeit, wurde schon früh in weitem
Umfange fixiert und zum Teil in Geld abgelöst.
Für den Grundherrn, wie für die Kirche, waren auch diese mäßigen,
fixierten Leistungen von großer Bedeutung. Sie brachten ihm Einnahmen,
auf deren regelmäßigen Eingang in bestimmter Höhe er sich verlassen durfte,
mit denen er also in seiner Wirtschaftsführung im voraus rechnen konnte.
Und schließlich — was hatte er dafür hingegeben? Ein Stück Wildland,
das ihm bis dahin gar keinen, oder doch so wenig Nutzen gebracht hatte,
daß selbst ein niedriger Zins noch als genügendes Aquivalent gelten durfte.
Dazu kam noch die Aussicht, gelegentlich — mindestens bei erbloser Erledi-
gung — die Abgaben steigern zu können, bezw. eine kultivierte Hufe statt
des früheren Wildlandes zurück zu erhalten.
Die Erblichkeit des Besitzes war schon bei den Rodungen im Mutter-
lande als Aquivalent der Urbarung und Besserung mehr und mehr in Auf-
nahme gekommen. Man hatte eingesehen, daß nur die Sicherheit dauernden
Besitzes, die Gewißheit, selbst die Früchte seines Fleißes zu genießen und den
Kindern ein gesichertes, behäbiges Heim zu hinterlassen, den Landnehmer an-
spornen konnte zu energischer, fruchtbarer Thätigkeit.“) In erhöhtem Maße
mußten sich diese Erwägungen geltend machen gegenüber den weit schwieri-
geren Verhältnissen im slawischen Koloniallande.
Nur die günstigsten Bedingungen konnten die Ansiedler locken, die Müh-
sale der langen Wanderung, die Schrecknisse und Gefahren des fremden
% Erst später erlangten die Grundherren, besonders durch die sogen. „Lehnware“
(eine beim Tode des bäuerlichen Besitzers und häufig auch des Grundherrn zu entrichtende
Gebühr von meist 5% des Tax= oder Kaufwertes) wieder Anteil an der steigenden
Grundrente.
½) Quod sede incerta raro studiosus reperitur agricola, terrae possessoribus
pPossessionem perpetuavimus, heißt es in einer Urkunde v. J. 1165.