108 Ed. O. Schulze: Verlauf und Formen der Besiedelung des Landes.
also zurück zu beanspruchen hatte. Die „Besserung“ über den Zins hinaus,
d. h. der in der Kultur des Gutes steckende Wert und Erfolg der Arbeit des
Bebauers galt als dessen Eigentum; der Grundherr hatte darauf keinen
Anspruch“)
Aus alledem ergiebt sich also, daß das Unter= oder Nutzungseigentum
des zu Erbzinsrecht sitzenden Kolonisten sich dem vollen Eigentum in sehr
hohem Grade näherte, und — mit unbeschränkter Nutzungsbefugnis, unbe-
schränktem Erbrecht und wenig beschränktem Veräußerungsrecht verbunden —
sich praktisch kaum von ihm unterschied.“)
So war in verhältnismäßig kurzer Zeit auf der Grundlage freier Ver-
einbarung eine breite Schicht deutscher Bauern entstanden, die mit persönlicher
Freiheit weitgehende rechtliche und wirtschaftliche Selbständigkeit bei geringer
dinglicher Belastung vereinigten.
Die Folge von alledem war eine äußerst günstige Wirtschaftslage der
Bauern und eine, wesentlich hierdurch — neben dem Bergbau — bedingte
fast beispiellos rasche Aufnahme des Landes, dessen Reichtum, der Glanz
seines Fürstenhofes, das wohlbehäbige, zum Teil sogar üppige Leben nicht
nur des Adels und der Bürger (in den jetzt rasch aufblühenden Städten),
sondern auch der bäuerlichen und unteren Klassen des Volkes durch zahlreiche
Nachrichten schon aus dem 13. Jahrhundert bezeugt wird.
Es läßt sich hier dieselbe Erscheinung beobachten, die unter ähnlichen
Umständen fast stets in Kolonialländern sich zeigt: eine rasche Entwickelung
und schnelles und kraftvolles Aufstreben von Land und Volk, wenn unter
sonst günstigen Bedingungen jungfräulicher Boden von bedeutender Frucht-
barkeit besetzt wird mit Ansiedlern einer höheren Kulturstufe, bei denen mit
Freiheit und Selbständigkeit der Bewegung rücksichtslose Thatkraft, zäher
Fleiß und ausgebildetere Wirtschaftstechnik vereinigt sind.
Die Besiedelung des Flachlandes und des niederen Berglandes war mit
dem Schluß des 13. Jahrhunderts vollendet. Die des höheren Gebirges ge-
hört, soweit der Ackerbau in Frage kommt, teils noch dem 13., teils dem
14. Jahrhundert an; und weite Striche verdanken erst dem Bergbau des
15. Jahrhunderts und der vielfach an ihn sich knüpfenden Industrie ihre
spätere zahlreiche Bevölkerung.
*) Diese Auffassung der Arbeit als Wertquelle und als Begründung von Eigen-
tumsrecht hat die Glosse zum Sachsenspiegel. Vgl. meine Kolonisierung S. 898 u. 205.
*##) Anders wurde dies, als die Grundherren landwirtschaftliche Großunternehmer
wurden. Da wurde ihnen das Obereigentum, d. h. der Inbegriff der darunter ver-
standenen öffentlichen und privaten Befugnisse und Rechte, ein wirksames Mittel zur
Erweiterung ihrer Macht und ihres Areals, und nicht immer erfolglos versuchte man
sogar, das Untereigentum der Bauern als Pachtbefitz, oder gor als bloßes Nutzungsrecht
an fremder Sache hinzustellen.