114 Ed. O. Schul ze: Verlauf und Formen der Besiedelung des Landes.
schiedener Ausdehnung sein. Die neuen Gewanne wurden nicht in dieser
Weise und in „Morgen" geteilt, sondern durch Breitenmessung und Abschreiten
der gleichbreiten Parallelstreifen.
Je mehr nun die Viehwirtschaft zurücktrat und die Bevölkerung zunahm,
der Getreidebedarf also stieg, um so mehr Gewanne mußten natürlich auf-
genommen werden, bis eben die Grenze des Normalbedarfs und der Normal-
arbeitskraft einer wesentlich auf Ackerbau beruhenden Wirtschaft erreicht war.
Die Bewirtschaftung geschah im „Flurzwang“. Die Flur war in
wirtschaftlich gleichgroße Schläge (Felder, Zelgen; jeder aus einer größern
Anzahl von Gewannen bestehend) eingeteilt. Jeder Schlag wurde mit gleicher
Frucht bestellt und zu derselben Zeit beackert, besäet und abgeerntet. (Bei
der seit den Karolingern verbreiteten Dreifelderwirtschaft z. B. trug ein Feld
Winterkorn, das zweite Sommerkorn, das dritte lag in Brache.) Die be-
stellte Fläche wurde nach dem Säen umzäunt. Nach der Ernte wurden die
Zäune entfernt und die Felder dem Weidevieh geöffnet. Wer nicht recht-
zeitig säete bezw. erntete, konnte nicht mehr zu seinem Acker gelangen, bezw.
wurden dessen Früchte vom Vieh verrnichtet.
Die einzelnen Streifen hatten meistens keinen besonderen Zugang, sie
setzten Uberfahrtsrechte über die Nachbargrundstücke voraus. Die Wege sind
fast sämtlich jüngeren Ursprungs, als diese Flurverfassung. Die älteren Ge-
wanne werden von ihnen oft in recht unpraktischer Weise durchschnitten und
zerstückt; erst die jüngeren suchen sich möglichst an die Wege anzuschließen.
Die Entstehung des Flurzwanges, der bekanntlich vielfach sich bis in
unser Jahrhundert erhalten hat, weist auf die alte genossenschaftliche Gemein-
wirtschaft zurück. Er wirkte wohlthätig, indem er auch die Trägen mit fortriß
(Wege u. s. w. ersparte), hinderte aber andererseits jeden an individuelle
Thatkraft, Einsicht, Geschicklichkeit, Unternehmungslust geknüpften Fortschritt.“)
Wertere Ubelstände dieser Flurverfassung waren die Kleinheit und Unregel-
mäßigkeit besonders der älteren Gewanne, die große Zerstückelung zur Folge
hatten; ferner das Fehlen fester Grenzen zwischen den Gewannstreifen, so daß
Verwirrung infolge Abpflügens unvermeidlich war, und die schon erwähnte
Unzugänglichkeit der meisten Besitzstücke.
Neben dies Haufendorf mit Gewannen und Gemenglage der Hufen trat
nun etwa seit Beginn des 9. Jahrhunderts eine zweite Siedelungsform, deren
Kenntnis die Kolonisten bezw. die Lokatoren aus der alten Heimat mit herüber
brachten. Im Laufe des 9. bis zum 11. Jahrhundert wurden nämlich die
Waldgebiete der mitteldeutschen Gebirge, von den Ardennen über den Oden-
*) Der Einzelne war an die schwerfällige träge Gesamtheit gebunden; Forrschritte
wurden deshalb wesentlich nur auf den Rodungen Einzelner und auf denen der Grund-
herren (Beunden) gemacht, die dem Flurzwang nicht unterstanden.