4 S. Ruge: Das sächsische Land.
Das Volk der Sachsen wird zuerst in der alten Zeit, etwa in der Mitte
des 2. Jahrhunderts n. Chr., von dem letzten großen Geographen des Alter-
tums, Ptolemäus, genannt. Der große römische Geschichtsschreiber Tacitus
kennt sie 50 Jahre früher noch nicht. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß
sie zu seiner Zeit noch nicht vorhanden gewesen wären; eher möchte man an-
nehmen, daß die Sachsen erst in der Zeit zwischen 100 und 150 Jahre n. Chr.
in den Gesichtskreis der römischen Welt rückten. Daß sie von nordischen
Ländern allmählich weiter nach Süden vorrückten, erkennt man aus ihrem
Auftreten in den ersten Jahrhunderten nach Ptolemäus. Tacitus hatte zwar
eine für uns sehr wertvolle, weil älteste, ausführliche Schrift, Germania,
über Deutschland verfaßt; aber sein Blick reichte räumlich doch nicht so weit
nach Norden, um das Sachsenvolk am äußersten Horizonte auftauchen zu
sehen, denn es kam aus der kimbrischen Halbinsel, aus Jütland. Ptolemäus
dagegen kennt diese Halbinsel im Norden Germaniens recht gut, er giebt eine
leidlich richtige Beschreibung der Umrisse derselben, die er nur römischen
Rekognoscierungsfahrten in der Nordsee verdanken konnte. Danach wohnten
die Sachsen (Saxones) östlich von der untern Elbe „auf dem Nacken der
kimbrischen Halbinsel“ bis an die Trave, also im heutigen Holstein.
Von einem späteren Chronisten des Mittelalters (Widukind von Korvei)
erfahren wir auch die Bedeutung des Volksnamens. Die Sachsen, sagte er,
bedienten sich im Kampfe großer Messer, die in unserer Sprache Sahs heißen.
Bei einem ander Schriftsteller lesen wir, Hengist habe beim Angriff auf den
Feind seinen Mannen zugerufen: „Nimed eure Saxes“. Die Sachsen, d. h.
Messerträger, trugen die Waffe ad renes, d. h. an der Lende, wie etwa der Jäger
den Hirschfänger. Wir können unter diesem Messer auch ein kurzes Schwert ver-
stehen. Die Bezeichnung der Waffe ist uralt, denn sahs ist, wie das verwandte
lateinische Wort saxum, ursprünglich Stein, Fels, und der Sahs mußte danach, ehe
man die Bearbeitung der Metalle kannte, eine steinerne Waffe zum Hauen und
Stechen gewesen sein. Steinmesser waren in alter Zeit auch bei den Juden im
Gebrauch, bei der Beschneidung (2. Buch Moses 4, 25, Josua 5, 2 und 3),
ebenso bei den altägyptischen Ärzten.“)
Ehe der geläuterte Gottesglaube bei den Hebräern zur Herrschaft kam, hing
das Volk verschiedenen heidnischen Kulten an, wie z. B. die Anbetung des Stieres
(goldenen Kalbes), Verehrung heiliger Bäume und Steine noch an vielen
Stellen im alten Testament erkennen lassen. Der Baum= und Steinkultus war
*) In Psalm 89, 44, wird der Ausdruck „Die Schärfe des Schwertes“ durch „den
Stein des Schwertes“ wiedergegeben, woraus wieder die alte Verwendung der Stein-
schwerter ersichtlich wird.
Daß Steinschwerter sich bei Naturvölkern vielfach nachweisen lassen, ist bekannt.
Wenn ich hier aber besonders auf althebräische Zustände hingewiesen habe, so hat dies
darin seinen Grund, weil sich noch andere ähnliche urzeitliche Anschauungen in Bezug
auf Sachsen und Israeliten finden, die auf religiöse Vorstellungen zurückgehen.