130 H. Ermisch: Die Anfänge des sächsischen Stäbtewesens.
verwischt hat: für beide gilt dasselbe Recht, beide unterstehen denselben Ge-
richten, haben dieselben Lasten dem Staate gegenüber zu tragen. In der
Gemeindeverfassung bestehen zwar auch heute noch erhebliche Unterschiede,
doch sind sie bei weitem nicht so tief einschneidend, wie sie im Mittelalter
waren. Stadt und Land sind sich viel näher gerückt, als dies einst der Fall
war; der siegreiche Staatsgedanke hat über ihr Sonderleben triumphiert.
Aber diese Entwickelung, so lange sie sich auch vorbereitet hat, ist eigentlich
erst in unserm Jahrhundert, das mit so vielen alten Institutionen ausge-
räumt hat, völlig durchgedrungen. Wollen wir die Entstehung der Städte
betrachten, so müssen wir diesen Unterschied zwischen der heutigen und der
mittelalterlichen Stadt stets im Auge behalten; für uns kommt nur die Stadt
des Mittelalters in Frage.
Aber verlassen wir nunmehr den Boden der allgemeinen Erörterungen
und fassen wir unser spezielles Gebiet, das Gebiet des heutigen Königreichs
Sachsen, ins Auge. Wir werfen zunächst einen Blick auf die Zeit vor der
Entstehung der Städte, auf das 9.—11. Jahrhundert, und haben hier die
Wurzeln der städtischen Entwickelung bloszulegen.
Wie die germanische Urbevölkerung unseres Landes etwa im C.christ-
lichen Jahrhundert von slawischen VBölkerschaften verdrängt wurde, wie
diese unter Karl dem Großen und seinen Nachfolgern in ein Verhältnis
loser Abhängigkeit zum Frankenreiche gerieten, wie dann der Einfall des
(vielleicht von den Slawen gerufenen) unstäten Reitervolks der Ungarn
der erste Anlaß wurde zu einem kräftigen Vordringen der deutschen Ele-
mente von Westen nach Osten, einer der großartigsten und folgenreichsten
Erscheinungen des Mittelalters, das zu schildern ist nicht meine Auf-
gabe. In den Landen, die durch deutsche Waffen erobert wurden, gab es
Städte in dem von uns angedeuteten Sinne so wenig wie in den germa-
nischen Landen. Ackerbau und Viehzucht bildeten die Hauptbeschäftigung der
Slawenz ihre Siedelungen lagen hauptsächlich in den fruchtbaren Niederungen,
in den Berglanden nur längs der Flußläufe; das höhere Gebirge blieb un-
bewohnt. Jeder größere Stamm hatte seine Hauptburg und kleinere Be-
festigungen, deren Reste sich in der Oberlausitz und anderen Teilen unseres
Landes erhalten haben. Über die Bestimmung dieser Anlagen sind wir ebenso
auf Vermutungen angewiesen, wie über ihre Entstehungszeit. Hauptsächlich
dienten sie ohne Zweifel der Landesverteidigung, daneben vielleicht auch dem
Kultus; die Hauptburgen, wie Budissin im Lande der Milzener, die Feste
Jahna im Lande der Daleminzier waren wohl zugleich Sitze von Stammes-
häuptlingen. Als Zufluchtsstätten in Zeiten der Not forderten sie zu Nieder-
lassungen in ihrem Schutze auf; als Versammlungsorte für religiöse Feste,
als Sammelplätze für kriegerische Aufgebote und dergl. wurden sie Mittel-
punkte eines lebhaften Verkehrs, boten Gelegenheit zu Tausch, Kauf und